Warum wir strafen?

In den Kommentaren wurde von Lauchie nach meiner persönlichen Meinung zum Thema „Strafen“ gefragt. Was ganz lustig ist, da erst vor zwei Wochen unsere Professorin im Strafrecht-Schwerpunkt uns dazu ermahnte, uns genau über diese Frage Gedanken zu machen. Am Ende des Schwerpunktes sollte jeder eine ganz persönliche Ansicht zum Thema „Strafen“ haben.

Vorweg vielleicht mal die klassischen Theorien zum Thema. Im groben werden die Strafzweck-Theorien in „absolute“ und „relative“ Strafzwecktheorien unterteilt. Die „absolute Strafzwecktheorie“ setzt vor allem auf „Sühne“. Allen voran Kant war Anhänger der absoluten Strafzwecktheorie. Kant war der Meinung, dass jeder erwachsene Mensch ein Recht auf Strafe hat. Deutlich macht Kant dies mit seinem „Inselbeispiel“. Wenn ein Inselvolk sich dazu entschließt sich aufzulösen und jeder in eine andere Himmelsrichtung segelt und sie sich nie mehr wiedersehen würden, dann müssen sie, nach Kant, die letzten Gefangenen hinrichten.

Würden sie sagen „was solls, lassen wir ihn einfach zurück“, würden sie sich nach Kant selbst in Unrecht begeben. Denn wenn man sagt, dass man eine Person nur bestraft, damit die Gesellschaft erzogen wird (z.B. Abschreckung oder Verhinderung zukünftiger Straftaten) würde man den Verbrechen zu einem Objekt, quasi zu einer Sache, degradieren. Als Subjekt der Gemeinschaft hat der Gefangene aber ein Recht auf seine Strafe. Im Großen und Ganzen berufen die Anhänger der absoluten Strafzwecktheorie sich zumeist auf die „Gerechtigkeit“. Ein Anhänger war unter anderem auch Hegel. Hier kommt die Ansicht durch, dass ein Übel durch ein anderes Übel aufgewogen werden könnte.

Was die absolute Strafzwecktheorie leider nicht beantworten kann ist: Warum muss auch bestraft werden, wenn gar kein Übel oder Schaden mehr entstanden ist? Zum Beispiel ein Dieb der eine Sache zurückgibt und sich entschuldigt.

Dem entgegen stehen die relativen Strafzwecktheorien, diese wenden sich aber von der „Sühne“ und gehen hin zur Vermeidung zukünftiger Straftaten. Erster Anhänger war Seneca bereits 65 n. Chr. Diese relativen Strafzwecktheorien unterteilten sich weiter in „Generalprävention“ und „Spezialprävention“, wobei diese sich jeweils noch in „negativ“ und „positiv“ unterscheiden.

Die „Generalprävention“ zielt auf die gesamte Gesellschaft ab. Die negative Generalprävention ist mehr oder weniger die „Abschreckung“. Feuerbach war ein Anhänger der negativen Generalprävention. Die Androhung mit Strafe soll einen psychologischen Zwang aufbauen, die Umsetzung der Strafe soll dann lediglich symbolisieren, dass man es ernst meint. Problem: Es gibt keine wissenschaftliche Studie die die Wirkung von Abschreckung belegt. Im Gegenteil: In den USA, die mit der Todesstrafe, als oder härtesten Strafe, drohen, steigt die Kriminalität. In den USA sitz 1% der Bevölkerung im Gefängnis, in Deutschland sind es unter 0,1%. Ferner kennen die meisten Verbrecher die angedrohte Strafe gar nicht. Bei Wohnungseinbrecher wussten 2/3 der Täter bei einer Befragung gar nicht welche Strafe ihnen droht. Zusätzlich ist es natürlich ein Problem, dass man hier einen „Zwang“ aufbaut. Der Staat versucht also seine erwachsene Bevölkerung zu „erziehen“, wie einen Hund.

Die positive Generalprävention basiert dagegen auf Stärkung des Vertrauens der Allgemeinheit in das Strafsystem. In dem die Leute also sehen „oh da wird jemand bestraft“ gewinnt die Norm an Geltungskraft. Denn ein Gesetz an das sich keiner hält und bei dem keine Sanktion droht, wird irgendwann verschwinden.

Den Generalpräventivenansätzen gemein ist, dass sie nicht erklären können, warum man auf leichte Vergehen leichte Strafen verhängt und auf schwere Vergehen schwere Strafen. Warum nicht einfach 3 Jahre für alle Strafen? Oder 2 Jahre? Als Abschreckung und zur Geltung der Norm müsste auch eine geringe Strafe ausreichen.

Als letztes gibt es dann noch die Spezialprävention. Ein großer Anhänger war Franz von Liszt. Die positive Spezialprävention zielt auf die Besserung des Straftäters. Dadurch dass er bestraft wird, zum Beispiel im Gefängnis, ergibt sich die Möglichkeit ihn zu bessern. Zum Beispiel in dem man eine Therapie macht oder ihm eine Ausbildung ermöglicht. Das Problem: Ein Jugendlicher ohne Schulabschluss der regelmäßig Essen im Supermarkt klaut weil er kein Geld hat, müsste man für 6 Jahre ins Gefängnis schicken: 3 Jahre für die Schulausbildung und 3 Jahre für die Berufsausbildung… Das ist mit Recht und Gerechtigkeit aber kaum zu vereinbaren.

Als letztes gibt es dann noch die negative Spezialprävention. Franz von Liszt bezeichnet es als „Unschädlichmachen“ von nicht besserungsfähigen Verbrechern. Im Endeffekt geht es darum, dass die Verbrecher keine neuen Straftaten begehen können, solange sie im Gefängnis sitzen. Problem: Irgendwann kommen sie wieder raus.

So das alles sind Theorien, die teilweise 2000 Jahre alt sind. In den letzten 100 Jahren wurde sich dazu kaum Gedanken gemacht. In Deutschland wird die Vereinigungstheorie von der Rechtsprechung vertreten, das bedeutet, dass von allem irgendwie was mit einwirkt. Dabei zählen die absoluten Straftheorien aber zumeist nur als „Begrenzung nach oben“. Das bedeutet, dass niemand härter bestraft werden sollte, als er „Schuld“ auf sich geladen hat.

Tja und die Frage war nun nach meiner persönlichen Meinung warum wir strafen. Die absoluten Straftheorien als Strafgrund mag ich nicht teilen. Durch die Zufügung von Übel wird kein anderes Übel rückgängig gemacht. Ein Verbrechensopfer bleibt ein Verbrechensopfer auch wenn ein Täter hart bestraft wird. Dazu interessanter Fakt: Verbrechensopfer streben in der Regel keine harte Bestrafung an, es reicht ihnen meist eine Feststellung, dass ihnen Unrecht geschehen ist. Die aufgeladene Schuld als Begrenzung der Strafhöhe halte ich aber für sinnvoll.

Auch stört es mich zum Teil, dass dem Erfolgsunwert ein so hoher Stellenwert eingeräumt wird, im Vergleich zum Handlungsunwert. Als Beispiel: Fährt jemand über eine rote Ampel und nichts passiert, kostet das ganze 90 Euro und gibt 1 Punkt in Flensburg. Fährt jemand über eine rote Ampel und erwischt einen Fußgänger tödlich wird er wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und ihm droht bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Dabei wurde der absolut gleiche Handlungsunwert begangen: Es wurde über Rot gefahren. Lediglich von Glück oder Pech hing der Eintritt des Erfolges ab (ob etwas passiert ist oder nicht) und davon hing dann auch die Bestrafung ab… Stört mich.

Von Abschreckung halte ich nicht viel. Es mag ganz vereinzelt funktionieren… Zum Beispiel bei Geschwindigkeitslimits fahre ich so, dass es nicht zu teuer wird. Im Großen und Ganzen, vor allem bei schwereren Delikten, funktioniert das aber kaum… Keiner sagt „bei 7 Jahren begehe ich einen Mord und bei 8 nicht“…

Die positive Generalprävention, also die Stärkung des Vertrauens im Strafsystem mag tatsächlich für ein funktionierendes System notwendig sein, kann aber nur die Bestrafung an sich erklären und nicht die Höhe. Genauso wie bei der Abschreckung darf nicht an einer Person ein Exempel statuiert werden.

Bleibt die positive Spezialprävention. Sicherlich der beste Strafgrund. Dadurch können zukünftige Straftaten verhindert werden. Damit wird zwar die vergangene Tat nicht rückgängig gemacht, aber ein zukünftiges Opfer wird vermieden. Aufgrund finanzieller Engpässe geschieht das leider häufig aber nicht. Vor allem bei der Entlassung haben mir mehrere Strafgefangene schon erzählt, dass sie einfach irgendwann vor die Tür gesetzt werden und dann auf sich alleine gestellt sind. Die nächste Straftat ist dann quasi vorprogrammiert.

Tja und am Ende gibt’s noch die negative Spezialprävention. Im Endeffekt ist das eine Kapitulation. Man gesteht sich ein, dass man diese Person nicht von Straftaten abhalten kann. Studien zeigen zwar, dass selbst als untherapierbare geltende Straftäter noch gut therapiert werden können, dazu fehlt aber wieder das Geld. Wenn jemand aber tatsächlich so gefährlich ist, dass man ihn nicht mehr rauslassen kann, dann ist das vermutlich  das richtige Mittel.

Als jemand das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung verfassungswidrig war und mehrere, als gefährlich geltende Häftlinge, entlassen werden musste, wurden lediglich 14% davon straffällig… Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass man zuvor 86% von ihnen zu unrecht (weil sie ja nicht mehr gefährlich waren) eingesperrt gelassen hat. Das darf in einem Rechtsstaat eigentlich nicht sein.

Am Ende bleibt für mich somit eigentlich nur, dass der Strafzweck die Besserung des Straftäters sein kann. Auch wenn dies sicherlich ein Problem ist, weil der Staat hier erwachsene Bürger „erzieht“. Und damit meint man nicht nur, dass die Bürger dazu erzogen werden sich nicht gegenseitig zu töten. Bis vor wenigen Jahrzehnten war noch die Homosexualität eine Straftat… Der Staat versuchte hier also seinen Bürgern die Homosexualität abzuerziehen… Sehr fraglich ob dies Aufgabe des Staates sein darf. Limitierend muss aber immer die Schuld sein. Jemand darf nur so hart bestraft werden, wie die Schuld es erlaubt.

Somit bin ich am ehesten auf einer Linie mit Franz von Liszt und auch der Rechtsprechung. Wobei man natürlich auch die Frage aufwerfen könnte, was passieren würde, wenn wir gar nicht strafen würden? Würde es dann mehr Morde geben? Man kann es bezweifeln.