Zu den Attentaten in Frankreich

In den heutigen Tagen nimmt jeder zu den Ereignissen in Frankreich Stellung. Dabei einige mit schlauen und viele mit etwas weniger schlauen Gedanken. Das erste Problem, was auch schon im Podcast angesprochen wurde, es wird häufig auf einen Glaubenskrieg heruntergebrochen. Moslems gegen Nichtmuslime. Diese Prämisse ist schon falsch. Auf beiden Seiten gab es nämlich Muslime. Auch einer der getöteten Polizisten war ein Moslem. Selten hat hier ein Zitat (egal ob es nun von Voltaire oder von Hall stammt) so gut gepasst: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“ Immerhin gab der muslimische Polizist sein Leben für Leute die Satire auf Kosten seiner Religion machten.

Was bei der ganzen Diskussion aber meines Erachtens auch viel zu kurz kommt, sind zwei Sachen. Die Erste: Es wird gar nicht gefragt, warum es zu diesem Anschlag kam. Es wird behauptet, dass die Ursache ein „Hass“ über die Karikaturen war. Das kann aber doch nicht die ernsthafte Begründung sein? Tatsächlich ist das Problem doch mangelnde Chancengleichheit in der Gesellschaft. Warum gibt es sogenannte „Verlierer“ der Gesellschaft, die sich dann radikalisieren? Die beste Prävention um solche Anschläge zu verhindern, ist doch das Verhindern von „Verlierern“. Primär geht es hier doch um frühkindliche Förderung und Bildungspolitik. Und das wichtigste: Es muss doch immer wieder die Chance geben, dass jemand vom Rande der Gesellschaft die Chance hat zurückzukehren.

Vor einigen Wochen geisterte ein Bild durch die Bloggerszene. Darauf stand sinngemäß „Wenn Ausländer mit schlechten Sprachkenntnissen, ohne Bildung und ohne Kontakte deinen Job wegnehmen, solltest du dir Gedanken machen“. Mir geht es gar nicht um die inhaltliche falsche Aussage (nicht alle Ausländer können kein Deutsch und sind ungebildet… Man mag es nicht glauben, aber auch im Ausland gibt es Schulen und Universitäten), sondern primär um die Einstellung die Leute die solche Aussagen verbreiten.

Im Endeffekt heißt es doch, dass wenn jemand schlecht qualifiziert ist, dann hat er es verdient arbeitslos zu sein. „Hättest du in der Schule aufgepasst, dann wärste jetzt kein dummer Nazi und man würde dir die Jobs nicht wegnehmen“. Was ist das aber denn für eine arrogante und asoziale Einstellung? Jeder der es selbst erlebt hat wird mir beipflichten: Es ist eine Qual in Deutschland Bildungsabschlüsse und Qualifikationen nachzuholen. Jeder der links oder rechts vom Muster-Bildungs-Weg in Deutschland abkommt, muss sich doppelt und dreifach anstrengen um wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Gleichzeitig wird es dadurch verschärft, dass es nicht darauf ankommt welche Fähigkeiten man besitzt, sondern welche Fähigkeiten man per Zeugnis nachweisen kann. Jedes Jahr aufs neue beweist Deutschland, dass es beim Thema Chancengleichheit in Europa abgeschlagen ist.

Daher ist es falsch und töricht mit blinden Hass und Wut auf die Attentate zu reagieren. Es mag vielleicht einfacher sein die Attentäter zu enthumanisieren, trotzdem sollte man hier die Chance nutzen, um zu schauen, ob man sich diese Personen nicht selbst gezüchtet hat. Die Frage sollte nicht nur lauten: Wie können wir uns vor solchen Fanatikern schützen, sondern auch: Wie können wir überhaupt verhindern, dass solche Fanatiker entstehen?

Die zweite Sache: Es wird den Bürgern wieder falsche Sicherheit versprochen. Bestes Beispiel sind die erneute Rufe nach der Vorratsdatenspeicherung von Union und teilweise auch von SPDlern. Dazu muss man wissen: Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung. Auch muss man wissen: Die Attentäter standen auf Listen von Personen die als bedenklich eingestuft wurden. Statt die Überwachungskräfte auf unschuldige Bürger zu richten, hätte man die Kapazitäten lieber nutzen sollen, um mit klassischen polizeilichen Methoden die Sicherheit zu gewähren. Absolute Sicherheit gibt es nie, wer diese verspricht der lügt. Es gibt höchstens eine höchstmögliche Sicherheit. Diese kostet uns aber die Freiheit.

Daher ist Sicherheit und Freiheit immer ein Abwägungsprozess. Wo im Zweifel der Schwerpunkt liegt, das ist vermutlich eine ganz individuelle und politische Entscheidung. Während der Konservative der Sicherheit den Vorrang gewährt, würde ein Liberaler immer in dubio pro libertate sagen und der Freiheit den Vorzug geben. In den meisten Fällen kann mit konventioneller Polizeiarbeit aber eine ähnliche Qualität der Sicherheit geschaffen werden.

Dazu muss man der Bevölkerung aber auch offen sagen: Freiheit gibt es nicht umsonst. Für Freiheit muss man kämpfen. Und wo gekämpft wird, da gibt es auch Opfer. Dieser Fakt ist auch keine Relativierung der Opfer. Im Gegenteil: Es erhöht die Opfer. Die Menschen die in Frankreich ihr Leben gelassen haben, haben es getan um unsere aller Freiheit zu schützen. Daran sollte man immer denken.