Aus anderem Holz geschnitzt

In den letzten Tagen musste ich mehrfach die Idee vom Jugendstrafrecht erklären. Dabei dachte ich, dass es sicher auch ein spannendes Thema für einen Blogeintrag ist. Zuvor aber vielleicht noch einige allgemeine Worte zu Strafrechtlern und da die rückblickend so lange geworden sind, wird es noch einmal einen extra Post zum Jugendstrafrecht geben.

Strafrechtler sind unter den Juristen ein ganz eigenes Völkchen, ich denke das kann man so sagen. Juristisch wird das Strafrecht häufig belächelt und vielleicht mag es für Ziviljuristen tatsächlich von den rechtlichen Fragen übersichtlicher (aber auch einfacher?) wirken. Auch muss man wohl zweifelslos sagen, dass in der strafrechtlichen Praxis die wissenschaftliche und rechtliche Behandlung eher ein untergeordnete Rolle spiel, häufig wird doch sehr Zielorientiert argumentiert und gehandelt.

Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es im Strafrecht um deutlich mehr geht, als in den meisten zivilrechtliche Verfahren. Dabei meine ich nicht einmal die Strafe die am Ende rauskommt, obwohl eine Freiheitsstrafe natürlich ein ganz anderes Kaliber darstellt, als irgendein verlorener Streit um einen Mangel an der Kaffeemaschine. Im Zivilrecht kommen wohl höchstens die familienrechtlichen Streitigkeiten an das emotionale Niveau eines Strafverfahrens ran.

Viel mehr meine ich auch, dass das Strafrecht häufig der verfassungsrechtliche Fels in der Brandung. Im Zivilrecht kommt am Ende häufig das raus, was nach dem Bauchgefühl schon irgendwie so in Ordnung ist. Selbst wenn ein Verfahren anders ausgeht als man es wohl selbst entschieden hätte, so bleibt doch selten ein Gefühl der kompletten „Ungerechtigkeit“.

Im Strafrecht blickt man dem Bösen dagegen täglich ins Gesicht. Egal wie das Strafverfahren am Ende ausgeht, die Tat kann nicht ungeschehen gemacht werden. Und bei jedem Freispruch ist am Ende ein Gefühl der Unzufriedenheit. Entweder konnte der schuldige Angeklagte nicht überführt wurde, das Opfer hat gelogen oder der Angeklagte war es wirklich nicht und der schuldige entgeht (zumindest vorerst) unerkannt seiner Strafe. Aber auch bei einer rechtmäßigen Verurteilung kann man nicht wirklich von einer Befriedigung sprechen. Das Opfer bleibt Opfer und dem Täter wird eine Strafe auferlegt, die meist völlig ungeeignet ist um zukünftige Straftaten zu verhindern und lediglich verhängt wird, weil man nicht weiß was man sonst mit ihnen machen soll.

Genau hier setzt meines Erachtens die Motivation der Strafrechtlicher (und damit die natürliche Selektion) ein. Um als Strafrechtler mit dieser Sache zufrieden sein zu können, muss man davon überzeugt sein, dass es richtig ist was dort gemacht wird. Es ist richtig, dass nicht jeder Straftäter seiner Strafe zugefügt wird. Nicht jedes moralische Fehlverhalten, muss auch strafrechtliche Folgen haben. Und wenn die vorher aufgestellten Regeln nicht zur Bestrafung des Täters führen, dann muss man tatsächlich davon überzeugt sein, dass es richtig ist. Der Sexualstraftäter dessen Straftat verjährt ist gehört freigesprochen. Nicht weil das was er getan hat irgendwie zu rechtfertigen ist, sondern weil wir die Regel so festgeschrieben haben.

Dazu muss man eine recht liberale Einstellung zum Strafrecht haben. Man muss damit leben, dass Kriminalität zum zusammenleben gehört. Hier kommt es meiner Meinung nach aber entscheidend auch auf die Position des Juristen im Strafverfahren an. Vom Richter wird vermutlich der größte Kraftakt  verlangt. Der Richter hat zu Urteilen und ein Richter der trotz eigener Überzeugung der Täterschaft aus Mangel an Beweisen freispricht, hat meinen vollsten Respekt. Auch der Staatsanwalt steht häufig doof da. Ergeht ein Freispruch hat er entweder den falschen angeklagt, oder was noch schlimmer ist, er hat es nicht geschafft einen schuldigen zu überführen.

Die entspannteste Position hat der Strafverteidiger. Wenn der Strafverteidiger seinen Job richtig macht, dann hat er einfach dafür gesorgt, dass die Regeln eingehalten wurden. Führt dies zu einem Freispruch, dann liegt es nicht primär am Strafverteidiger, sondern an einem Fehler von Staatsanwaltschaft oder Gericht. Der Strafverteidiger kann einen schuldigen Täter nicht vor seiner formal vorgesehenen Strafe bewahren, der Strafverteidiger kann lediglich zwei Sachen machen. Einerseits kann er verhindern, dass der Angeklagte eine Strafe bekommt, die er nach unserem Rechtssystem nicht bekommen dürfte und andererseits kann er innerhalb der Strafzumessung dafür sorgen, dass die Strafe im vertretbaren Rahmen gering ausfällt. Der BGH spricht hier vom „Spielraum“ des Richters, dieser geht von der „schon schuldangemessenen Strafe“ bis zur „noch schuldangemessenen Strafe“.

Damit der Post hier nicht zu lang wird: Genau solch eine Betrachtungsweise ist meiner Meinung nach Grundvoraussetzung um sich im Strafrecht (zumindest außerhalb Bayerns) zu bewegen. Dies erklärt auch, warum es häufig Urteile gibt, die für den „Durchschnittsbürger“ zu gering ausfallen. Einerseits liegts natürlich daran, dass der Durchschnittsbürger relativ wenig Ahnung von der kriminalistischen Wissenschaft hat. Er weiß in der Regel nicht, dass „Abschreckung“ nicht funktioniert und Haftstrafe einen Menschen meist nicht bessert. Auch liegt es sicherlich daran, dass ein Strafrechtler täglich mit Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung zu tun hat. Da ist ein Diebstahl eher eine Kleinigkeit.

Aber ein ganz entscheidender Faktor ist sicher auch, dass das Strafrecht von überwiegend liberalen Menschen besiedelt ist. Auch wenn man sich mit zivilrechtlichen Praktikern oder auch mit zivilrechtlichen Studenten unterhält, so ist ihr Verständnis für manche strafrechtliche Vorgehensweisen häufig sehr begrenzt. Es geht sogar soweit, dass der „Sühne“ ein höherer Stellenwert in der Strafzumessung eingeräumt wird, als tatsächlich dem Vorsatz weitere Straftaten zu verhindern.

Ein gutes Beispiel ist die Jugendkriminalität im Bagatellbereich. Wissenschaftlich recht gut fundiert ist die Erkenntnis, dass bei Jugendlichen im Bereich von jugendtypischer Kriminalität (Ladendiebstahl, leichte Körperverletzung usw) die Diversion, das heißt das sofortige und folgelose Einstellen des Verfahrens zu einer geringen Rückfallquote führt, als jegliche Sanktion. Darum wird in Hamburg beispielsweise selbst beim dritten Ladendiebstahl eines Jugendlichen in über 90% der Fälle das Verfahren sofort eingestellt. Einfach weil man weiß, dass die Jugendlichen dadurch von späterer Kriminalität fern gehalten werden. In Bayern werden zwar beim ersten Ladendiebstahl auch 100% eingestellt, weil man sich der Wissenschaft nicht ganz verschließt, es erfolgt aber dann bei Wiederholungstätern ein deutlicher Rückgang. Man nimmt somit in Kauf, dass Jugendliche im späteren Leben schwerer Kriminalität begeht, weil man in jungen Jahren nicht auf den Strafanspruch verzichten möchte.

All in all sind Strafrechtler ein besonderes Völkchen unter den Juristen. Sie werden häufig von anderen Juristen belächelt und dies oft auch nicht ganz zu unrecht. Man mag es positiv oder negativ sehen, aber um glücklich im Strafrecht zu werden, darf man vermutlich kein Musterjurist sein. Im Endeffekt muss jeder Jurist am Ende des Tages selbst entscheiden, ob er in den Abgrund des Bösen hinabsteigt oder sich doch lieber im Armanianzug und Rolex-Uhr um Firmenfusionen kümmert (meist schließt sich das nicht mal aus!)… Wer am Ende des Tages mehr für die Gesellschaft getan hat, sieht wohl jeder Seite anders.

5 Gedanken zu „Aus anderem Holz geschnitzt“

  1. Der Beruf des Juristen hat doch einige große Persönlichkeiten hervorgebracht. Ich glaub, der Zweig innerhalb des Gebiets, für den man sich entscheidet, prägt einen wohl ganz schön stark (oder umgekehrt?)

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  2. „Wissenschaftlich recht gut fundiert ist die Erkenntnis, dass bei Jugendlichen im Bereich von jugendtypischer Kriminalität (Ladendiebstahl, leichte Körperverletzung usw) die Diversion, das heißt das sofortige und folgelose Einstellen des Verfahrens zu einer geringen Rückfallquote führt, als jegliche Sanktion.“

    Das ist ja höchst interessant. Aber wie ist das psychologisch zu erklären? Ist man, wenn man erstmal von der Gesellschaft als Krimineller gebrandmarkt worden ist, eher bereit sich der neuen Rolle gemäß zu verhalten? Oder was steckt dahinter?

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    • Ja das von dir angesprochene Self-Labeling ist ein Problem, aber auch, dass man natürlich dann von seiner Umgebung anders behandelt wird. Zum Beispiel Lehrer, die skeptischer dir gegenüber sind, wenn sie wissen, dass es ein Strafverfahren gegen dich gibt.

      Dazu weiß man ja, dass die meisten kleineren und mittleren Straftaten von Jugendlichen nie entdeckt werden und trotzdem die Jugendlichen sich anständig entwickeln. Wenn 9 von 10 Jugendliche einen Ladendiebstahl begehen und 8 nicht erwischt werden und sich trotzdem nachher zu rechtstreuen Bürgern entwickeln, ist natürlich die Frage warum man den einen bestrafen sollte, den man zufälligerweise erwischt hat (rein aus der Sicht zukünftige Straftaten verhindern zu wollen). Von daher ist eine Bestrafung für zukünftige Straffreiheit einfach gar nicht notwendig in diesen Fällen.

      Darüber hinaus kann man informell häufig viel besser auf solche Taten reagieren. Zum Beispiel durch eine elterliche Bestrafung, statt durch strafrechtliche Sanktionen. Und schließlich hat die Justiz auch knappe Ressourcen, so dass wenn man leichte und mittlere Kriminalität bei Jugendlichen schnell informell behandelt, man mehr Kraft hat um sich um die wirklichen Problemfälle zu kümmern.

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