Österreich und die Rechtsstaatlichkeit

Österreich ist ein komisches Land. Nicht nur, dass man beim Essen aufpassen muss, dass einem nicht irgendwelche Organe untergeschoben werden, nein auch rechtlich ist das Land abenteuerlich.

Ich war für ein Paar Tage bei unseren schönen Nachbarn und hatte auch das Vergnügen mit dem Auto über die Autobahn zu kurven. Während es am Sonntag ohne LKW-Verkehr noch ging, war es am Montag die Hölle. Die österreichische Autobahn war das schlimmste was ich seit langem erlebt habe. Die haben ein Tempolimit von 130 km/h und dies führt zu einem beeindruckendem Phänomen: Sie drängeln wie sau.

Ich bin kein schreckhafter Autofahrer, aber Österreicher halten absolut 0 Abstand. Während auf der rechten Spur die LKW mit 80-90 km/h rumtuckern, kommen auf der linken Spur die PKW mit 130-140 km/h. Das alles ist auch kein Problem, aber wenn man dann mal einen LKW überholt, fahren die auf 10 Meter ran. Gerne fahren sie auch in Kolonnen von 4-5 Fahrzeuge mit ebenfalls maximal 10 Meter Abstand. Teilweise sah ich im Rückspiegel nicht mal mehr die Scheinwerfer des mir Hinterherfahrenden. Und das passierte nicht gelegentlich, wie man auch in Deutschland nen verrückten hinter sich hat, nein es geschah in ca 90% der Fälle. Es wurde einfach kein Abstand gehalten und in Deutschland wäre mehrfach der Straftatbestand der Nötigung dadurch erfüllt worden.

Aber zumindest sind die Österreicher konsequent: Auch beim Wiedereinscheren halten sie sich nicht an Abstände. Sie ziehen einfach von links nach rechts in den Sicherheitsabstand. Würde man nur einen Tick beschleunigen, würde man den Einscherenden erwischen.

Warum die Österreicher so fahren ist mir nicht ganz klar… Liegt es wirklich am 130er Limit? Insgesamt erklärt dies aber, warum Österreich trotz den eigentlich besseren Voraussetzungen (Tempolimit, weniger Verkehr, mehr ländliche Gegend usw.) eine höhere Verkehrstotenquote hat als Deutschland.

Aber nun auch was rechtliches: Während alles wie die Lebensmüden gefahren sind, bin ich natürlich in ne Raubritter-Kontrolle geraten. An einem Autobahnzubringer stand die Polizei mit einer Laserpistole. Der Autobahnzubringer war quasi schon ausgebaut wie eine Autobahn, trotzdem war noch 50. In ner Kolonne von 5 Fahrzeugen fahre ich also Richtung Autobahn und dort stehen sie. Und da kann mir keiner erzählen, dass das ein Unfallschwerpunkt ist… Es ist einfach um die Kassen zu füllen. Aber gut, thats life.

Als ich die Polizei sah, guckte ich aufs Navi wieviel ich dort fahren dürfte und sah dann auch gleichzeitig, dass das Navi mir 58 oder 68 km/h bei erlaubten 50 km/h anzeigte. Gehen wir vom Letzteren aus und etwas Toleranz, liege ich also rund 15km/h drüber. Nicht die Welt.

Als die Polizei mich aber nicht rausgewunken hat, ging ich davon aus, dass sicherlich ein anderes Fahrzeug nur gemessen wurde und nicht ich. Meine Beifahrerin erklärte mir dann aber, in Österreich kommt das per Post. Ich erwiderte, dass dies doch völlig absurd wäre, sie haben kein Foto und wissen doch gar nicht wer gefahren sei. Das sei in Österreich aber egal…

Später recherchierte ich das Ganze und tatsächlich scheint sie Recht zu haben. Einem deutschen Juristen stellen sich da die Fußnägel auf. Die Österreicher kennen zwei Verfahren.

Das erste ist die Anonymverfügung: Es interessiert die Behörde einfach nicht wer gefahren ist. Der Halter kriegt den Bescheid und kann sich das Geld dann einfach selbst vom Fahrer besorgen. Solange die Behörde Geld innerhalb von vier Wochen bekommt, ist es ihr egal. So wie es in Deutschland lediglich bei Parkverstößen möglich ist. In Österreich können so ganz erhebliche Strafen in dreistelligem Bereich eingetrieben werden. Einfach weil ein Polizist am Straßenrand steht und meint er habe irgendwas gemessen. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen: Der Polizist darf die Geschwindigkeit auch schätzen. Wenn der Polizist also meint „Das war schon irgendwie zu schnell“ kann dem Halter einfach ein Bußgeldbescheid zugehen. Ein absoluter undenkbares Vorgehen in Deutschland.

Was aber wirklich schockiert ist das andere Verfahren: Die Lenkererhebung. Bei schwereren Verstößen oder wenn bei der Anonymverfügung nicht gezahlt wird, wird eine Lenkererhebung durchgeführt. Hier wird dann, ohne Foto, einfach vom Halter verlangt, dass er den Fahrer benennt. Das Auskunftsverweigerungsrecht tritt einfach zurück… Wenn der Fahrer nicht benannt werden kann oder will, interessiert es die Behörde nicht. Dann gibt es eine Strafe gegen den Halter.

Es stellt sich also faktisch wie folgt dar: Die Behörde hat absolut nichts in der Hand, was den Fahrer identifizieren könnte. Trotzdem muss sich der Halter entweder selbst belasten (wenn er der Fahrer war) oder wird bestraft. Hier droht dann sogar Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten.

Auch wenn er einen Verwandten angeben muss, verlangt das Gesetz diesen Verrat. In Deutschland wäre auch dies undenkbar. Natürlich besteht bei uns ein Auskunftsverweigerungsrecht gegenüber Fragen die einen selbst belasten. Auch darf bezüglich Verwandten die Aussage verweigert werden. Dann muss die Behörde selbst die Ermittlungen führen und den Fahrer überführen.

Hier stellen sich einem deutschen Juristen wirklich ALLE Nackenhaare auf. Auch der österreichische Verfassungsgerichtshof teilte diese Bedenken und erklärte in den 80er Jahren, dass hier die absoluten Grundlagen des Rechtstaates mit Füßen getreten wurden und erklärte die Lenkererhebung für verfassungswidrig. Was machte die österreichische Politik? 1986 führte sie die Lenkererhebung wieder ein, hob sie aber auf Verfassungsrang. Damit konnte der Verfassungsgerichtshof die Norm nicht mehr aufheben.

Der europäische Gerichtshof für Menschenrecht duldete dieses Vorgehen 2005 mit einer abenteuerlichen Begründung „Es würde kein Zusammenhang zwischen der Auskunftserteilung einem möglichen Strafverfahren geben“…. Die Argumentation: Der Halter soll ja nicht zugeben, dass er zu schnell gefahren sei, sondern nur, dass er Gefahren sei. Dies würde aber ja noch nicht den Verdacht einer Straftat begründen. Auch hier mit deutscher Rechtsprechung absolut unvereinbar. Der BGH vertritt hier die sogenannte „Mosaiktheorie“. Bereits wenn nur ein Mosaikstein, welches zu einer späteren Strafverfolgung führen könnte, bekanntgegeben werden müsste, darf die Auskunft in Deutschland verweigert werden.

Einen Trost gibt es für deutsche Halter jedoch: In Deutschland kann eine Lenkererhebung nicht durchgeführt werden. Die deutschen Behörden halten es nämlich nicht mit der deutschen Verfassung zu vereinbaren. Für deutsche Fahrer gilt dies jedoch nicht… Fährt ein deutscher Fahrer in einem österreichischem Auto zu schnell (wie in meinem Fall), darf er mittels Lenkererhebung ermittelt werden.

8 Gedanken zu „Österreich und die Rechtsstaatlichkeit“

  1. Warum gibt es eigentlich das Recht, sich nicht belasten zu müssen?
    Ein Geständnis wirkt doch eigentlich immer strafmildernd, andersherum gesehen bedeutet die Wahrhnehmung dieses Rechts also eine Erhöhung der Strafe.

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    • Es ist Ausfluss von dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 I GG. Historisch stammt der Grundsatz aus England.

      In Deutschland kam er mit dem reformierten Strafprozess und sollte die Unarten des bis dato geltenden Inquisitionsprozesses abschaffen. Damals konnte jemand nämlich nur verurteilt werden, wenn es zwei Zeugen gab oder aber ein Geständnis. Aus diesem Grund wurde der Beschuldigte dann gefoltert (später gab es Lügenstrafen in Form von Freiheitsentzug und Geldstrafen)..

      Die Strafmilderung für ein Geständnis ist tatsächlich ein Problem. Gesetzlich ist auch nirgends ausdrücklich normiert, dass ein Geständnis strafmildernd wirkt (einige Ausnahmen im JGG und BtMG die ein Geständnis verlangen mal ausgenommen). Ein Geständnis ist aber Grundlage für einen „Deal“. Das BVerfG hat dies so grundsätzlich zwar geduldet, aber ausdrücklich festgelegt, dass die Sanktionsschere (Strafe bei Geständnis und Strafe bei Schweigen) nicht zu weit auseinander gehen darf.

      Tatsächlich ist dies aber ein Problem. Denn wenn es für eine Tat 1 Jahr gibt und bei Geständnis nur 6 Monaten, dann ist es für den schweigenden Angeklagten genauso ärgerlich, als würde es für die Tat 6 Monate geben und fürs Schweigen gibts nomma 6 Monate drauf. Der BGH argumentiert dagegen jedoch, dass ein Geständnis regelmäßig auch die „Reue“ zeigt und daher strafmildernd berücksichtigt werden darf. Genauso könnte man aber auch sagen, das Schweigen vor Gericht zeigt soviel Scham für die Tat, dass es für eine „Innerliche Reue“ spricht.

      Daher ist es tatsächlich sehr bedenklich. Vor allem im Rahmen der Deals sorgt dies sicherlich auch für viele falsche Geständnisse… Wenn jemand mit nem falschen Geständnis mit 2 Jahren auf Bewährung rauskommen kann, wenn ihm sonst als Unschuldiger eine Freiheitsstrafe über 2 Jahre (die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann) droht, dann muss er schon starke Nerven haben nicht ein falsches Geständnis abzulegen.

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  2. Was ist eigentlich, wenn ein Polizist sich „verschätzt“ hat? Kann man da Einspruch erheben? Wie ist das da mit der Beweislage? Wer muss was beweisen?
    Oh man, jetzt frage ich dich österreichische Gesetze 🙁

    Aber ich kann mich mit der Begründung vom europäischen Gerichtshof nicht ganz anfreunden. Wenn sie sagen, dass man nur zugeben muss, dass man gefahren ist, gibt man ja indirekt zu, dass man zu schnell gefahren ist und das Tempolimit übertreten hat. Also beschuldigt man sich ja dennoch selbst. Oder wie ist das deiner Meinung?

    Deine Ausführungen fand ich absolut interessant, und witzig zu sehen, dass Österreicher so absurde Gesetzte haben. Könnte ja mal fragen, wie es in der Schweiz ist. Die fahren auch alle wie Sau. Und es wundert mich ehrlich, dass so wenig Verkehrsunfälle auf bestimmte Wegen gibt.

    Noch eine Frage: warum warst du auf Österreichs Strassen unterwegs?

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