Das leidige Thema „Beratung im Bundestag“

Auf Facebook geistert wieder ein Link zu Welt Online rum. Ein vermeintlich riesiger Politskandal und ein Beweis, dass unsere Demokratie zerstört wird. Zuerst dachte ich: „Warum verarscht die Welt ihre Leser so?“, dann ist mir eingefallen, dass sie ja zum Springer Verlag gehören. Um dieses Video geht es:

In unter einer Minute werden die Gesetzesänderungen zum Meldewesen verabschiedet. Ich will hier gar nicht groß das Thema aufgreifen ob die Änderungen nun gut oder schlecht sind (Es wird aber mal wieder heißer gekocht als gegessen), die Schlacht wird schon überall anders im Netz geschlagen. Viel mehr möchte ich wirklich nur auf das Formelle eingehen und wie dieses Video entstanden ist.

Gesetze werden meist von der Bundesregierung angeregt, da sie irgendwelche weitere Kompetenzen möchte oder sonst etwas generell Regeln möchte. Seltener kommen Gesetzesentwürfe aus dem Bundesrat oder dem Bundestag. Diese Entwürfe werden dann in den jeweiligen Spezialausschüssen behandelt. Ausschüsse sind kleine Abbildungen des Bundestages. Dort sitzen einige wenige Bundestagsabgeordnete, ungefähr in der Stärke, in der die Fraktion auch im Bundestag sitzt, die sich speziell für das jeweilige Thema, zum Beispiel Umwelt, interessieren. Dort wird dann mehr oder weniger der Gesetzesentwurf überarbeitet und geändert. Anschließend geht das Gesetz dann in den Bundestag zu allen Abgeordneten.

Zu diesem Zeitpunkt ist der Drops aber meist schon gelutscht. Ist es ein kein hyper sensibles Thema haben die Bundestagsabgeordnete über den Inhalt des Gesetzes nur grob eine Ahnung. Viel mehr verlassen sie sich auf die Experten aus ihrer Fraktion, die im Ausschuss saßen und ihrer Fraktion später eine Empfehlung aussprechen, ob sie dem Gesetzesentwurf zustimmen soll oder nicht. Würde ich also im Bundestag sitzen und mein Spezialgebiet ist die Verteidigungspolitik, so würde ich meiner Fraktion raten sie sollen Entwurf X zustimmen und Entwurf Y ablehnen. Andersherum interessiere ich mich aber für Umwelt nur bedingt und hab weder die Sachkompetenz noch die Zeit mich lange darüber einzulesen, ob lieber Solarpanels des Typs A oder des Typs B mit Subventionen gestärkt werden soll. Dort vertrau ich dann auf die Abgeordnete die sich auf Umweltpolitik spezialisiert haben und mir sagen, dass das und das total toll ist und das andere nicht.

Somit werden die meisten kleineren Gesetze so durch den Bundestag gebracht, dass die Bundestagsabgeordneten einfach nur der Empfehlung ihrer Fraktion folgen. Daran ist weder etwas undemokratisches noch sonst irgendetwas verwerfliches. Es ist geradezu eine Stärke des Parlaments und der Ausschüsse, dass die Bundestagsabgeordnete sich spezialisieren. Somit passiert dann bei der Schlussabstimmung auch bei so kleineren Gesetze nichts mehr. Die Regierungsfraktionen achten irgendwie darauf, dass sie mehr oder weniger eine Mehrheit noch haben und kriegen so ihre Gesetze durch. Die Opposition kann dabei die Gesetze meist lediglich verzögern so wie beim Betreuungsgeld (In dem sie die Beschlussfähigkeit des Bundestages anzweifeln. Bezweifelt nämlich jemand die Beschlussfähigkeit, so müssen mindestens 50% der Mitglieder des Bundestages anwesend sein. Bezweifelt keiner die Beschlussfähigkeit, reicht es wenn eine Person anwesend ist). Da die Opposition aber in der Regel keine Mehrheit im Bundestag hat, kann sie einfache Gesetze nicht stoppen, so lange die Regierungsfraktionen zusammenhalten und da bei so kleinen Gesetze eh nach Fraktionsempfehlung abgestimmt wird, wird die Fraktion meist einstimmig entscheiden.

So bei dem Video ist nun die Besonderheit, dass es der 26. Juni 2012 20:51 Uhr war. Sechs Minuten vorher hat das Spiel Deutschland gegen Italien begonnen gehabt und als treuer Bundestagsabgeordneter ist man dort vor dem Fernseher. Deswegen sitzen dort im Bundestag lediglich zwei Dutzend Abgeordnete und stimmen über dieses Gesetz ab. Ist das ein Skandal? Nein! Denn erstes wissen die da sitzende Abgeordneten nicht mehr über das jeweilige Gesetz über das sie Entscheiden, wie die abwesenden Abgeordneten und zweitens würden auch 500 oder 600 Abgeordnete gemäß ihrer Fraktionsstärke abstimmen. Die Mehrheit ist somit bei vielen Anwesenden nicht anders als bei wenigen und auch der Sachverstand ist nicht höher. Es ist für die Demokratie egal, ob zehn Leute im Sinne ihrer Fraktion abstimmen oder ob es 100 Leute machen. Die wirkliche Arbeit ist bereits lange vorher in den Ausschüssen erfolgt und die Entscheidung was abgestimmt wird, wird ebenfalls bereits vorher in der Fraktion bekanntgegeben.

Daher sollte man sich nicht für dumm verkaufen lassen… Die letzten Lesungen im Bundestag dienen nicht dem fachlichen Austausch und der Überzeugung des politischen Gegners. Es ist ein formeller Akt für den Bürger, damit der Bürger öffentlich sehen kann, wer wie abgestimmt hat. Dabei ist es aber egal ob es 10 oder 100 machen.

7 Gedanken zu „Das leidige Thema „Beratung im Bundestag““

  1. Das Video ist doch völlig Latte. Fest steht, dass mal wieder ein Ereignis ausgenutzt wurde, bei dem der Normalbürger vom politischen Geschehen abgelenkt ist, um unbequeme Gesetzesentwürfe durchzubringen. Und da ist es nur rechtens, darauf hinzuweisen.

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    • Genau das ist doch der Schwachsinn. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung steht seit 16.11.2011. Von einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ ist hier schwer zu reden. Vom 16.11 bis zum 27.6 hat der Ausschuss über diesen Gesetzesentwurf beraten und ihr mehrfach geändert, also in mehr als 7 Monaten.

      Das Gesetz hätte nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn 600 Abgeordnete da gewesen wären und es zu einer prominenteren Zeit beschlossen worden wäre. Die Abgeordneten, die Fraktionen und auch die Bürger hatten 7 Monate Zeit sich mit dem Thema zu beschäftigen.

      Es ist einfach fucking egal wer bei der endgültigen Lesung im Bundestag anwesend ist und es ist auch fucking egal ob da gerade Fußball ist. Selbst bei einem vollen Plenarsaal hätte es 1. keine Debatte über das Thema mehr gegeben (Die fand die 7 Monate vorher statt) und 2. hätten die Regierungsfraktionen ebenfalls die Mehrheit gehabt.

      Also warum genau sollte bitte „Fest stehen“, dass „wieder“ ein Ereignis „ausgenutzt wurde“? Wer genau hat nun einen größeren Nutzen? Die Opposition hat kein Interesse das Gesetz der Bundesregierung „durchzuschummeln“ und die Regierungspartei geht bei wenig Abgeordneten das Risiko ein, dass die Beschlußfähigkeit angezweifelt wird (Siehe Betreuungsgeld). Es hat für die Regierung keinen Vorteil wenn möglichst wenig Abgeordnete bei der Abstimmung anwesend sind.

      Genau das ist der Punkt den ich probierte habe im Ausgangspost klarzumachen.

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  2. Das ist egal, die Medien berichten meist erst darüber, wenn etwas verabschiedet wird, oder etwas davor steht, verabschiedet zu werden und dann dringt es erst in das Massenbewusstsein. Genau dieser Zeitpunkt wird aber bei unbequemen Gesetzen meist in eine Zeit gelegt, in der der gemeine Bürger anderweitig beschäftigt ist oder ihn größere Probleme plagen.

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    • Das ist dann die Schuld der Medien, nicht der Bundesregierung. Außerdem schauen wenn Fußball läuft wahrscheinlich doppelt soviele Leute Nachrichten.

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    • 1. Siehste ja wie gut das funktioniert

      2. Warum sollte die letzte Lesung (Die EH keiner per Internetstream anschaut) ausgerechnet „versteckt werden“?

      Aber ist natürlich ne super Verschwörungstheorie :]

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  3. Mag zwar alles so sein, dass bei der letzten Lesung + Abstimmung selten noch irgendwas passiert, aber trotzdem ist es halt auch ein Teil der „Arbeit“ von Abgeordneten im Parlament abzustimmen…
    Um mal beim Fußball zu bleiben: Da könnten sie ja auch 3 vs. 3 spielen, ist ja schließlich das selbe wie 11 vs. 11.

    Zusätzlich fragt man sich, ob der Ausschuss wirklich gut gearbeitet hat in dem Fall. Jetzt rudern ja alle Parteien (außer der CSU) wieder zurück. Bei der Abstimmung waren ja FDP und CDU noch dafür. Jetzt ist es auch für Koalitionsabgeordnete auf einem ein „Skandal“.
    Anscheinend hat sich kein Schwein außerhalb des besagten Ausschusses dafür interessiert, oder die Ausschussmitglieder haben ihre Kollegen nicht hinreichend über den Inhalt des Gesetzentwurfes informiert.
    Wie dem auch sei, es ist und bleibt ein ne äußert schwache Vorstellung.

    Ach ja, die Abgeordneten hatten die überweltigende Mehrheit der Bevölkerung hinter sich: 😉

    https://umfrage.tagesschau.de/umfrage/poll_dbdata.php?oid=meldewesen104

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