Iudex non calculat

Ein juristisches Sprichwort lautet „Iudex non calculat“ übersetzt: Der Richter rechnet nicht. Dieser Satz hat zwei unterschiedliche Bedeutungen. Rechtshistorisch bedeutet dies, dass wenn ein Richter sich in seinem Urteil verrechnet, dann zählt nicht das was der Richter schrieb, sondern das tatsächliche Ergebnis. Und die etwas aktuellere Bedeutung ist, dass ein Richter nicht die Argumente oder Zeugen zählt, sondern sie jeweils gewichtet (darum führt ein Aussage gegen Aussage auch nicht immer zum Freispruch).

Scherzhaft wird damit auch darauf gezielt, dass Juristen ihr Fach nur gewählt haben, weil sie kein Mathe brauchen. Dass daran tatsächlich etwas Wahres dran sein kann, sah man heute. Ich hatte dieses Wochenende Schlüsselqualifikation „Psychologie und Verhandlung in der juristischen Praxis“. Da haben wir Strategien zum Verhandeln gelernt, was für Verhandlungstypen es gibt usw. Das ganze untermauert mit psychologischen und soziologischen Basics. Dabei standen auch mehrere Rollenspiele an, wobei es krass ist, wie schnell man sich tatsächlich in die Rolle hineinversetzt.

Heute hatten wir nun das 4. Rollenspiel: 1 Arbeitgeber gegen 1 Arbeitnehmer und jeweils ein Rechtsbeistand. Ich war der Anwalt des Arbeitnehmers. Der Fall kurz erklärt: Ein Kassierer der seit 8 Jahren im Unternehmen war und 2000 Euro Brutto im Monat verdient, soll weggeschaut haben, als ein Kunde Ware klaute. Deswegen wurde er gekündigt. Sollte es zu einer Gerichtsverhandlung kommen besteht 50:50 Chance. Weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber haben Interesse miteinander weiterzuarbeiten. Wenn man sich vorher einigt reduziert sich die Gebühr für den Rechtsstreit von 2500 Euro auf 1500 Euro. Anbei stand für uns als Information: „“Meines Wissens nach werden z.T. Abfindungen in Höhe von einem halben Monatsgehalts pro Beschäfitgungsjahr gezahlt. In der Praxis wird aber meist weniger gezahlt und nur ca 15% erhalten überhaupt eine Abfindung, davon über 50% erst im Klageweg“.

Meine Strategie war recht easy. Zuerst so tun als wolle der Arbeitnehmer wieder eingestellt werden und sich davon runterhandeln lassen. Halbes Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr wären 8000 Euro, diese habe ich als Maximum angesetzt. Realistisches Ziel habe ich 50% angesetzt, das bedeutet 4000 Euro + 750 Euro Gebühren des Rechtsstreits, somit 4750 Euro. Oberstes Ziel war es aber, dass eine Klage verhindert wird. Nach zäher Verhandlung kam ich mit 4500 Euro + ein gutes Arbeitszeugnis für meinen Mandanten raus. Damit waren wir alle mehr oder weniger glücklich.

In der Pause haben wir dann uns umgehört, was die anderen Gruppen so erreicht haben. Und ich fragte zwei Mädels von denen ich wusste, dass sie auch Arbeitnehmervertreter waren.. Die haben !10.000! und !11.000! Euro rausgeholt. Auf die Frage, dass das Optimum doch 8000 + 1500 war und wie man drüber landen kann… Sagten sie nur „Ja die ham sich wohl verrechnet“… Als Beispiel: Das erste Angebot meines Gegenübers waren 2000 Euro und mein Angebot waren 8000 Euro.. Ich weiß gar nicht wie man da auf zweistellig landen kann.

Unser Dozent meinte am Ende nur dazu „Zum Glück ist das nur hier passiert“… Teilweise ist erschreckend, dass sowas mal in der freien Wildbahn verhandeln wird.

9 Gedanken zu „Iudex non calculat“

  1. tja, die frage hierbei ist, welche seite so hart gefailt hat.

    haben die arbeitnehmer vertreter lediglich von der dummheit der anderen profitiert und somit zu hohe summen rausgeschlagen, oder waren tatsächlich alle so dumm?
    jedenfalls wieder mal ein grund mehr einen anwalt (wenn man mal einen braucht) vllt. vorher besser „kennenlernen“ und nicht einfach irgendeinen aus dem telefonbuch nehmen.^^

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    • Na wir Arbeitnehmervertreter hatten uns ja vorher beraten… Wir waren uns ja alle einig, dass das absolute Maximum was man überhaupt verlangen kann irgendwo zwischen 8000 und 9500 liegt als Startgebot.

      Die guckten schon dumm, als die Gegenseite mit ner fünfstelligen Summe kam.

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      • wow, das ist wirklich bitter. ich hätte gerne die gesichter der arbeitnehmer vertreter in diesem augenblick gesehen…ob man sein pokerface bewahren kann, oder ob man kopfschüttelnd am lachen ist^^

        naja ara, auf jedenfall mal wieder eine nette story aus dem bereich jura. wenn man das hier so liest kann man zum entschluss kommen, dass ein teil der jura studenten wirklich woanders besser aufgehoben wäre, wobei ich einfach mal hoffe, dass du nur einfach immer die „besten“ momente uns offenbarst und es eigentlich nicht so schlimm ist. 😀

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  2. Als Arbeitgeberanwalt verteilt zahlt man ja die Abfindung nicht aus eigener Tasche. Vielleicht saß da das Geld eher locker. So nach dem Motto: 11.000 EUR und ein Date mit der Arbeitnehmervertreterin ;)?

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