Aus anderem Holz geschnitzt

In den letzten Tagen musste ich mehrfach die Idee vom Jugendstrafrecht erklären. Dabei dachte ich, dass es sicher auch ein spannendes Thema für einen Blogeintrag ist. Zuvor aber vielleicht noch einige allgemeine Worte zu Strafrechtlern und da die rückblickend so lange geworden sind, wird es noch einmal einen extra Post zum Jugendstrafrecht geben.

Strafrechtler sind unter den Juristen ein ganz eigenes Völkchen, ich denke das kann man so sagen. Juristisch wird das Strafrecht häufig belächelt und vielleicht mag es für Ziviljuristen tatsächlich von den rechtlichen Fragen übersichtlicher (aber auch einfacher?) wirken. Auch muss man wohl zweifelslos sagen, dass in der strafrechtlichen Praxis die wissenschaftliche und rechtliche Behandlung eher ein untergeordnete Rolle spiel, häufig wird doch sehr Zielorientiert argumentiert und gehandelt.

Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es im Strafrecht um deutlich mehr geht, als in den meisten zivilrechtliche Verfahren. Dabei meine ich nicht einmal die Strafe die am Ende rauskommt, obwohl eine Freiheitsstrafe natürlich ein ganz anderes Kaliber darstellt, als irgendein verlorener Streit um einen Mangel an der Kaffeemaschine. Im Zivilrecht kommen wohl höchstens die familienrechtlichen Streitigkeiten an das emotionale Niveau eines Strafverfahrens ran.

Viel mehr meine ich auch, dass das Strafrecht häufig der verfassungsrechtliche Fels in der Brandung. Im Zivilrecht kommt am Ende häufig das raus, was nach dem Bauchgefühl schon irgendwie so in Ordnung ist. Selbst wenn ein Verfahren anders ausgeht als man es wohl selbst entschieden hätte, so bleibt doch selten ein Gefühl der kompletten „Ungerechtigkeit“.

Im Strafrecht blickt man dem Bösen dagegen täglich ins Gesicht. Egal wie das Strafverfahren am Ende ausgeht, die Tat kann nicht ungeschehen gemacht werden. Und bei jedem Freispruch ist am Ende ein Gefühl der Unzufriedenheit. Entweder konnte der schuldige Angeklagte nicht überführt wurde, das Opfer hat gelogen oder der Angeklagte war es wirklich nicht und der schuldige entgeht (zumindest vorerst) unerkannt seiner Strafe. Aber auch bei einer rechtmäßigen Verurteilung kann man nicht wirklich von einer Befriedigung sprechen. Das Opfer bleibt Opfer und dem Täter wird eine Strafe auferlegt, die meist völlig ungeeignet ist um zukünftige Straftaten zu verhindern und lediglich verhängt wird, weil man nicht weiß was man sonst mit ihnen machen soll.

Genau hier setzt meines Erachtens die Motivation der Strafrechtlicher (und damit die natürliche Selektion) ein. Um als Strafrechtler mit dieser Sache zufrieden sein zu können, muss man davon überzeugt sein, dass es richtig ist was dort gemacht wird. Es ist richtig, dass nicht jeder Straftäter seiner Strafe zugefügt wird. Nicht jedes moralische Fehlverhalten, muss auch strafrechtliche Folgen haben. Und wenn die vorher aufgestellten Regeln nicht zur Bestrafung des Täters führen, dann muss man tatsächlich davon überzeugt sein, dass es richtig ist. Der Sexualstraftäter dessen Straftat verjährt ist gehört freigesprochen. Nicht weil das was er getan hat irgendwie zu rechtfertigen ist, sondern weil wir die Regel so festgeschrieben haben.

Dazu muss man eine recht liberale Einstellung zum Strafrecht haben. Man muss damit leben, dass Kriminalität zum zusammenleben gehört. Hier kommt es meiner Meinung nach aber entscheidend auch auf die Position des Juristen im Strafverfahren an. Vom Richter wird vermutlich der größte Kraftakt  verlangt. Der Richter hat zu Urteilen und ein Richter der trotz eigener Überzeugung der Täterschaft aus Mangel an Beweisen freispricht, hat meinen vollsten Respekt. Auch der Staatsanwalt steht häufig doof da. Ergeht ein Freispruch hat er entweder den falschen angeklagt, oder was noch schlimmer ist, er hat es nicht geschafft einen schuldigen zu überführen.

Die entspannteste Position hat der Strafverteidiger. Wenn der Strafverteidiger seinen Job richtig macht, dann hat er einfach dafür gesorgt, dass die Regeln eingehalten wurden. Führt dies zu einem Freispruch, dann liegt es nicht primär am Strafverteidiger, sondern an einem Fehler von Staatsanwaltschaft oder Gericht. Der Strafverteidiger kann einen schuldigen Täter nicht vor seiner formal vorgesehenen Strafe bewahren, der Strafverteidiger kann lediglich zwei Sachen machen. Einerseits kann er verhindern, dass der Angeklagte eine Strafe bekommt, die er nach unserem Rechtssystem nicht bekommen dürfte und andererseits kann er innerhalb der Strafzumessung dafür sorgen, dass die Strafe im vertretbaren Rahmen gering ausfällt. Der BGH spricht hier vom „Spielraum“ des Richters, dieser geht von der „schon schuldangemessenen Strafe“ bis zur „noch schuldangemessenen Strafe“.

Damit der Post hier nicht zu lang wird: Genau solch eine Betrachtungsweise ist meiner Meinung nach Grundvoraussetzung um sich im Strafrecht (zumindest außerhalb Bayerns) zu bewegen. Dies erklärt auch, warum es häufig Urteile gibt, die für den „Durchschnittsbürger“ zu gering ausfallen. Einerseits liegts natürlich daran, dass der Durchschnittsbürger relativ wenig Ahnung von der kriminalistischen Wissenschaft hat. Er weiß in der Regel nicht, dass „Abschreckung“ nicht funktioniert und Haftstrafe einen Menschen meist nicht bessert. Auch liegt es sicherlich daran, dass ein Strafrechtler täglich mit Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung zu tun hat. Da ist ein Diebstahl eher eine Kleinigkeit.

Aber ein ganz entscheidender Faktor ist sicher auch, dass das Strafrecht von überwiegend liberalen Menschen besiedelt ist. Auch wenn man sich mit zivilrechtlichen Praktikern oder auch mit zivilrechtlichen Studenten unterhält, so ist ihr Verständnis für manche strafrechtliche Vorgehensweisen häufig sehr begrenzt. Es geht sogar soweit, dass der „Sühne“ ein höherer Stellenwert in der Strafzumessung eingeräumt wird, als tatsächlich dem Vorsatz weitere Straftaten zu verhindern.

Ein gutes Beispiel ist die Jugendkriminalität im Bagatellbereich. Wissenschaftlich recht gut fundiert ist die Erkenntnis, dass bei Jugendlichen im Bereich von jugendtypischer Kriminalität (Ladendiebstahl, leichte Körperverletzung usw) die Diversion, das heißt das sofortige und folgelose Einstellen des Verfahrens zu einer geringen Rückfallquote führt, als jegliche Sanktion. Darum wird in Hamburg beispielsweise selbst beim dritten Ladendiebstahl eines Jugendlichen in über 90% der Fälle das Verfahren sofort eingestellt. Einfach weil man weiß, dass die Jugendlichen dadurch von späterer Kriminalität fern gehalten werden. In Bayern werden zwar beim ersten Ladendiebstahl auch 100% eingestellt, weil man sich der Wissenschaft nicht ganz verschließt, es erfolgt aber dann bei Wiederholungstätern ein deutlicher Rückgang. Man nimmt somit in Kauf, dass Jugendliche im späteren Leben schwerer Kriminalität begeht, weil man in jungen Jahren nicht auf den Strafanspruch verzichten möchte.

All in all sind Strafrechtler ein besonderes Völkchen unter den Juristen. Sie werden häufig von anderen Juristen belächelt und dies oft auch nicht ganz zu unrecht. Man mag es positiv oder negativ sehen, aber um glücklich im Strafrecht zu werden, darf man vermutlich kein Musterjurist sein. Im Endeffekt muss jeder Jurist am Ende des Tages selbst entscheiden, ob er in den Abgrund des Bösen hinabsteigt oder sich doch lieber im Armanianzug und Rolex-Uhr um Firmenfusionen kümmert (meist schließt sich das nicht mal aus!)… Wer am Ende des Tages mehr für die Gesellschaft getan hat, sieht wohl jeder Seite anders.

Das Gehirn und seine Manipulierbarkeit

Der Zeugenbeweis ist immer noch der meistgeschätzte Beweis im Strafprozess. So muss ein Zeuge vor Gericht grundsätzlich persönlich Aussagen, ein Protokoll seiner Aussage bei der Polizei darf nur in bestimmten Ausnahmen verlesen werden. Dabei ist der Zeuge das wahrscheinlich schlechteste Beweismittel und dies liegt mehr oder weniger darin wie unser Gedächtnis funktioniert.

In Rechtspsychologie ging es quasi nur um die Frage, wie stark das Gehirn Erinnerungen verfälscht. Dabei gibt es unterschiedliche Effekte die auftreten können. Einerseits natürlich sogenannte Suggestivfragen. Suggestion ist eine große Gefahr bei der Vernehmung von Zeugen. Bei Kindern kann man Suggestionsraten von 80% erreichen, das heißt bei 8 von 10 Kindern kann man etwas einpflanzen. Bei Erwachsenen liegt die Rate, je nachdem was eingepflanzt werden soll, bei bis zu 60%.

Ein ganz krasses Negativbeispiel sind die Wormer Missbrauchsprozesse zwischen 1993 und 1997. In einem Scheidungsverfahren bezichtigte eine Frau ihren Ehemann des Kindesmissbrauchs. Ein Kinderschutz-Verein  vernahm dann diese Kinder und deckte so einen Kindesmissbrauch in unbekannten Ausmaßen auf. 25 Personen wurde in drei Verfahren schwerer Kindesmissbrauchs innerhalb eines angeblichen Pornorings vorgeworfen. Gegen viele wurde Untersuchungshaft angeordnet, die Kinder wurde aus den Familien genommen und in Pflegefamilien gesteckt.

Im Prozess stellte sich dann heraus, dass viele Aussagen so nicht stimmen konnten. Die aussagepsychologischen Gutachten der Aussagen der Kinder deuteten auf Suggestion hin. Zum Teil wurde von Missbräuchen zu Zeitpunkten berichtet, da waren die Kinder noch gar nicht geboren. Auch sollen die Eltern ihre Kinder missbraucht haben, als bereits Untersuchungshaft angeordnet war.

Der Prozess endete, obwohl die Staatsanwaltschaft bis zu letzte teilweise 13 ½ Jahre Freiheitsstrafe forderte, in allen Fällen mit Freispruch. Der Richter entschuldigte sich bei allen Beschuldigten und erklärte, dass es den angeblichen Massenmissbrauch nie gegeben hat. Trotzdem hatte das Verfahren massive Folgen für alle Beteiligte.

Eine angeklagte Großmutter verstarb in Untersuchungshaft. Die Beschuldigten verloren nicht nur ihren Job, sondern waren durch ihre Anwaltskosten teilweise auch finanziell ruiniert. Viele Ehren zerbrachen. Das vermutlich schlimmste war aber wohl, dass die Familien ihre Kinder nicht zurückbekamen. Teilweise fand solch eine Entfremdung in den Kinderheimen und Pflegefamilien statt, dass eine Rückkehr nicht mehr möglich war. Bis heute glauben einige „Scheinopfer“, dass sie tatsächlich von ihren Eltern missbraucht wurde. Und wäre dies nicht genug: Der Heimleiter, bei dem die Kinder untergebracht wurden, wurde rund 10 Jahre später rechtskräftig wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt.

Es muss aber nicht immer Suggestion sein, es kann auch einfach das Gehirn einen Streich spielen. Bekannt ist zum Beispiel der sogenannte „Waffenfokus“. Eine Person der eine Waffe ins Gesicht gehalten wird, kann sich anschließend nicht mehr an die Person erinnern, sondern maximal noch an die Waffe und die Hand. Es gibt dabei auch Experimente beim Zahnarzt. Patienten die zum ersten Mal bei einem Zahnarzt waren, können anschließend in der Regel den Zahnarzt nicht beschreiben.

Aber damit komme ich auch auf meine eigentliche Geschichte, die ich erzählen wollte. Gestern als ich auf den Bus wartete, hielt ein Wagen an der Ampel und eine Frau gestikulierte wild ihrem Beifahrer. Der Beifahrer stieg aus und schaute recht planlos und guckte sich andauernd um. Alles sehr suspekt. Die Frau fuhr weiter und der Mann machte sich bei meinem Haus am Klingelschild zu schaffen.

Da fragte ich mich, wie gut ich wohl noch als Zeuge taugen würde, wenn ich das Auto und die Fahrerin beschreiben müssten…

Hum der Wagen war jedenfalls ein VW Kombi, vermutlich ein Passat, ca 15 Jahre alt. Es war ein dunkles Lila oder dunkles Blau. Die Frau war schon älter so ca. 60 und hatte längeres lockiges braunes Haar. Ja da war ich mir recht sicher.

3 Minuten später kommt der Wagen erneut und parkt direkt neben mir ein… Ja es war ein VW Kombi… Er war aber knalle Türkis-Grün und es war kein Passat. Die Frau war maximal 40 Jahre alt und ihr langes lockiges braunes Haar hat sich anscheinend ganz schnell zu einer nichtlockigen Kurzhaarfriseur verwandelt…

Ich war ein bisschen schockiert… Vor allem wegen der Farbe des Autos… Ich hätte schwören können, dass es ein fast schwarzes Lila war… Auch bei den Locker und dem Alter wäre ich mir zu 100% sicher gewesen.

Im Endeffekt zeigt es aber, wie ungenau Zeugenaussagen sind. Dies führt nicht nur dazu, dass ein tatsächlicher Täter nicht erwischt wird, sondern, was noch viel schlimmer ist, ein Unschuldiger wird möglicherweise deswegen angeklagt oder gar verurteilt.

Aber was vielleicht tröstlich ist: Mit aussagepsychologischen Gutachten kann man heutzutage ganz gut die Glaubhaftigkeit einer Aussage festgestellt werden. Meine Professoren gingen, bei fachgerechter Durchführung, von einer Fehlerquote von unter 5% aus. Zumindest wenn es um eine belastende Aussage geht. Wenn jemand lediglich eine entlastende Aussage macht, also ala „Er hat X nicht getan“ oder „Er war nicht an Ort Y“, ist das ganze schwerer, da weniger Informationen vorliegen. Die aussagepsychologische Begutachtung scheitert aber dann, wenn der Zeuge selbst glaubt, dass es stimmt was er da gesehen hat. Vor allem bei Suggestionen versagt diese Technik leider häufig.

Rezept für Kriminalität: 1x Täter, 1x Opfer und 1x Tatgelegenheit

Die Kriminologie beschäftigt sich zum großen Teil mit der Frage wie Kriminalität entsteht. Dabei gibt es unterschiedliche Theorien mit verschiedenen Ansätzen. Der simpelste Grundsatz lautet, dass man drei Faktoren benötigt: Einen Täter, ein Tatopfer und eine Tatgelegenheit. Prävention kann man dadurch erreichen, dass man einen dieser Faktoren ausschaltet.

Zum Beispiel indem man verhindert das Personen Täter werden, zum Beispiel durch gezielte Präventionsprogramme bei Risikogruppen. Eine andere Möglichkeit ist, dass man Opfer vermeidet, dies kann zum Beispiel durch die Sensibilisierung erfolgen. Und der dritte Faktor ist die Tatgelegenheit. Den dritten Faktor wenden wir jeden Tag an, wenn wir zum Beispiel unsere Wohnungstür abschließen. Aber auch städtebaulich kann man hier drauf einwirken, zum Beispiel in dem „Tote Plätze“ vermeidet. Tote Plätze bezeichnet Orte die schwer einsehrbar sind und keine Fluchtwege bieten. Auch Frauenparkplätze in Parkhäuser nsollen die Tatgelegenheit verhindern. Warum ich das erzähle? Weil genau diese Faktoren selbst live bewusst erlebt habe.

Als Jurist geht man mit anderen Augen durch die Welt. Ich glaube kaum ein Studiengang prägt einen Menschen so, wie das Jurastudium. Sieht man ein Loch mit Sicherungsbänder, denkt man an Verkehrssicherungspflicht. Steht man an der Kasse, zählt man die einzelnen Willenserklärungen und wenn man „Eltern haften für ihre Kinder sieht“, exerziert man, unter welchen Umständen die Eltern tatsächlich nur haften. Besonders tritt dieser Effekt auf, wenn mehrere Juristen auf einem Haufen sind.

Ich war mit einem Freund, der das erste Staatsexamen schon hinter sich hat und ebenfalls auf Strafrecht spezialisiert ist, im Stadtteil in dem ich aufgewachsen bin. Man fühlte sich dort tatsächlich gleich 15-Jahre jünger. Es ist das tiefste Harburg und kann sicherlich als sozialer Brennpunkt bezeichnet werden. Hoher Ausländeranteil und geringer sozialer Stand sorgen für eine hohe Kriminalität.

Wir waren am Abend, so gegen 20 Uhr, an einem Teich. Schon der Weg dorthin war komisch. Ein dunkler weg unter einer Autobahnbrücke. Links ein kleiner Fluss und rechts Gebüsch. Kein Fluchtweg links oder rechts und nur leichtes Licht von Laternen. Begegnet sind uns vereinzelt typische südländische Ghettogangsta. Wir schauten uns am Ende an und einigten uns einstimmig darauf, dass das ein ganz typisches Beispiel für einen „toten Platz“ ist. Und waren uns auch einig, dass wir auch alleine, obwohl wir beide sicherlich wehrfähige Personen sind, solche Wege meiden würden.

Wir gingen dann im Dunklen ein stück um den Teich und trafen auf eine Gruppe Südländer so ca. 8-10 Stück. Während mein Kollege noch scherzte „lass erstmal den Jogger vorlaufen und gucken ob er lebend dran vorbei kommt“, hab ich todesmutig nur gesagt „Ich bin strafrechtlicher, mir können die nix!“. Alle paar Meter trafen wir auf kleine Grüppchen männlicher Jugendlicher die ihre „Geschäfte“ abzogen. Teilweise konnte man Wortfetzen auffangen ala „Ich fick die Bullen!“, „Ich geh mir erstmal im Wald jetzt einen Bauen“ usw…

Dann saßen wir am Ufer und es kamen zwei Südländer an uns vorbei. Standen dann so ca 1-2 Meter von uns weg und erzählten „Alta dann derbe Falsche Kopf und er derbe Platzwunder musste derbe genäht werden alter er hat derbe kassiert“. Ich muss sagen ich finde solche Personen und Situationen immer ganz lustig. Und sagte nur zu meinem Kollegen „Darum machen wir Strafrecht und kein Zivilrecht!“. Dann haben die n bissel Musik aus ihrem Handy (in fürchterliche Qualität) gemacht. Den großen Auftritt hatten die beiden dann aber, als zwei Mädels vorbei kamen. „Wollt ihr euch nicht zu uns setzen?“, „ne sorry, wir saßen eben schon“, „ja passt doch, eben habt ihr gesessen und nun könnt ihr reiten“. Ich musste tatsächlich schmunzeln und wollte ihm schon nen Daumen geben. Die Mädels gingen weiter und die beiden sprachen dann untereinander und es wurde noch besser. „Digga du biste derbe ALT! Du hast ne Freundin! Digga wie Alt du bist!“… Fand ich gut die beiden.

Während ich dann mit meinem Kollegen weiter drüber scherzte, ob die wohl rechtzeitig ins Bett gehen, weil ja morgen Schule ist und, dass wir sicherlich die mal später bei uns in der Kanzlei haben werden, wurden es immer mehr. Irgendwann standen da 12-15 junge Südländer ca 10 Meter weg. Und dann sagte ich „Zwei von denen finde ich ja noch ganz putzig, aber bei der Gruppe da hinten mach ich mir langsam Sorgen.“ und es dauerte keine 5 Minuten, da eskalierte die Situation dahinten auch und die Gruppe ging aufeinander los. Nach dem Motto „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ wollte ich erstmal abwarten, war aber schon kurz davor die Polizei zu rufen. Nachdem sie sich auf der Straße bissel geprügelt haben und mehrfach auseinander gingen und wieder aufeinander zu, entschlossen sie sich doch abzuziehen.

Die Geschichte war aber eigentlich immer noch net die, die ich eigentlich erzählen wollte. Das sollte nur ein bisschen erklären, in was für einer Gegend wir uns dort aufgehalten haben. Ein Gebiet welches zumindest ein hohes Konfliktpotential bietet. Und da saßen wir nun noch n paar Minuten… Und dann kam ne Joggerin… Anfang 20… Recht gut gebaut… Und joggt um den unbeleuchteten Teich umgeben von tiefem Wald… Und wir schauten uns beide an, und ich sagte nur „Wenn du sowas in ner Akte sehen würde… Denkste das gleiche wie ich?“… „Selbst schuld?“…

Und da kann man nun sicherlich ne lange Debatte drüber führen. Einig ist man sich sicherlich, dass es einen Täter nicht entschuldigt, wenn das Opfer gezielt solche Situationen sucht… Aber man wundert sich doch schon. Warum joggt man als junges Mädel einen dunklen Waldweg lang in einem Gebiet, in dem selbst ich mich, als einheimischer wehrhafter junger Mann in Begleitung stellenweise schon unwohl fühle? Ich meine klar, ich kenne die Statistik nach der Sexualdelikte auf dunklen Waldwegen von unbekannten Drittern sehr sehr sehr selten sind, aber wenn sowas passiert, dann an genau solchen Orten: Es gibt dort Täter mehr als genug, die Tatgelegenheit ist mehr als gegeben und man selbst bietet sich als Opfer an.

Ich hätte meine Freundin dort nicht joggen lassen…

Der Fall Uli H.

Vorweg: Ein frohes neues Jahr!

In den letzten Monaten kam ich zu nicht zu viel, nun ist aber wieder etwas mehr Luft da… Von daher werde ich vielleicht tatsächlich wieder regelmäßiger hier bloggen (müsste dann aber n Redesign geben finde ich!).

Als erstes befassen wir uns ganz aktuell mit dem Fall Uli H. Wenn man bei einer Materie drin steckt, fällt einem ja meistens nur auf, wie viel Humbug so geschrieben wird. Dabei nicht nur in der Presse, sondern vor allem auch in den Kommentaren. „Alltagstheorien“ werden schnell als tatsächliche Rechtsargumente angebracht. Dabei ist bei Hoeneß vieles wirklich abenteuerlich. Ich probier mal die, meiner Meinung nach, wichtigsten Sachen klarzustellen.

Hoeneß muss gar nicht ins Gefängnis, sondern darf direkt in den „offenen Vollzug“!

Was häufig mit „offenen Vollzug“ gemeint ist, ist eigentlich der „Freigang“. Dieser ist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BayStVollzG geregelt. Der Gefangene darf unter bestimmten Umständen einer Arbeit außerhalb der Haftanstalt ohne Aufsicht nachgehen. Er darf morgens somit die Haftanstalt verlassen und muss direkt nach Arbeitsende wieder zurück in die JVA. Ein Fußballspiel gilt nicht als Arbeit, somit dürfte Uli, soweit er denn tatsächlich Freigang enthält, zwar für einige Stunden tagsüber die Haftanstalt verlassen, jedoch darf er keine Freizeit draußen verbringen. Auch ist davon auszugehen, dass ein Freigang sicherlich nicht in den ersten Monaten gewährt wird, vor allem Bayern handhabt das sehr streng.

Hoeneß verbringt Weihnachten eh wieder in Freiheit!

Er wurde zu 3 1/2 Jahren verurteilt. Grundsätzlich wird eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach 2/3 der Zeit gemäß § 57 Abs. 1 StGB geprüft. In einigen Ausnahmefällen kann die Aussetzung bereits nach der Hälfte der Haftzeit erfolgen. Tatsächlich könnte Hoeneß solch eine Ausnahme sein und könnte daher nach 1 Jahr und 9 Monaten auf Bewährung entlassen werden. Weihnachten 2014 wird damit eng… Selbst Weihnachten 2015 wird sehr knapp. Weihnachten 2014 wird er somit grundsätzlich noch in Haft sitzen.

Es gab einen „Deal“ zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft!

Grundsätzlich sind Absprachen im Strafprozess erlaubt, jedoch nur unter sehr strenger Dokumentierung des ganzen Vorganges. In der Praxis kommt es trotzdem vor, dass es gelegentlich Deals gibt. Ob es solch eine Absprache gab? Man weiß es nicht. Dagegen spricht, dass der Anwalt von Hoeneß direkt die Revision angekündigt hat. Auch, dass die Staatsanwaltschaft von einem „Besonders schweren Fall“ ausging, das Gericht dies aber ablehnte, spricht gegen einen Deal. Insgesamt halte ich es eher für unwahrscheinlich.

Die Staatsanwaltschaft legt keine Revision ein, damit andere Straftaten vertuscht werden!

Diese Behauptung liest man regelmäßig in den Kommentaren. Sie zeigt jedoch nur, dass der Kommentator keinerlei Ahnung von dem hat, über das er gerade spricht. Der erste Punkt ist: Revision bedeutet, dass lediglich auf Rechtsfehler geprüft wird. Der Sachverhalt, den das erkennende Gericht festgestellt hat, nimmt das Revisionsgericht als gegeben hin. In einer Revision wird nur geprüft, ob das Recht tatsächlich richtig angewandt wurde.

Beispiel: Der Täter behauptet er habe das Opfer nur mit den Fäusten verprügelt, das Gericht verurteilt ihn jedoch wegen Körperverletzung mittels einer Waffe, weil es davon ausging, dass er mit einem Ring zuschlug. In der Revision prüft das Gericht nun nicht ob der Täter tatsächlich einen Ring beim schlagen nutzte, denn dies ist eine Tatsachenfrage. Es wird lediglich die Rechtsfrage geprüft, ob ein Ring eine Waffe ist oder nicht. Kommt das Revisionsgericht zur Entscheidung, dass ein Ring eine Waffe ist, dann hat die Revision keinen Erfolg. Selbst dann nicht, wenn der Täter beweisen könnte, dass er keinen Ring nutzte (gegebenenfalls kann es dann ein Wiederaufnahmeverfahren geben, das ist aber unabhängig von der Revision).

Der zweite Punkt: Die Anklage lautet nur auf Steuerhinterziehung in 7 Fällen. Weitere Straftaten, zum Beispiel eine Untreue oder die Frage woher die Gelder kamen, sind gar nicht Gegenstand der Anklage. Daher tritt auch kein Strafklageverbrauch ein. Sollte sich herausstellen, dass weitere Straftaten vorliegen, kann die Staatsanwaltschaft jederzeit erneut Anklage erheben. Sie braucht somit nicht die Revision, damit andere Straftaten aufgedeckt oder abgeurteilt werden könnten.

Die Staatsanwaltschaft ist Weisungsgebunden, deswegen war es klar, dass keine Revision erfolgte!

Ebenfalls häufig in den Kommentaren kommt der Hinweis darauf, dass die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden ist. Tatsächlich ist die Staatsanwaltschaft eine weisungsgebundene Behörde. So kann der Justizminister zum Beispiel jederzeit dafür sorgen, dass ein anderer Staatsanwalt die Bearbeitung übernimmt. Trotzdem ist natürlich auch die Behörde an Recht und Gesetz gebunden. Die Staatsanwaltschaft unterliegt dem sogenannten Legalitätsprinzip. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft grundsätzlich JEDER Straftat nachgehen muss. Sie darf nicht selbst entscheiden, ob sie eine Straftat verfolgt oder nicht. Erfährt die Staatsanwaltschaft von einer Straftat, muss sie Ermittlungen einleiten. Diese kann sie dann zwar möglicherweise folgenlos einstellen, jedoch müssen zumindest Vorermittlungen getätigt werden. Sollte die Staatsanwaltschaft somit tatsächlich von weiteren Straftaten Kenntnis haben, so wäre eine Weisung diese nicht weiter zu verfolgen rechtswidrig. Lediglich bei Ermessensfragen, beispielsweise ob eine Revision sinnvoll ist oder nicht, könnte hier tatsächlich eine rechtmäßige Weisung erfolgen. Diese ist dann aber unproblematisch, da ja beide Entscheidungen rechtmäßig wären.

Hier kann man sich dann auch die Frage stellen, ob eine Revision überhaupt zu einer schwereren Strafe geführt hätte? Großer Streitpunkt war, ob die Selbstanzeige wirksam war oder nicht. Staatsanwaltschaft und Gericht hielten sie für nicht wirksam. Der BGH hätte nun entweder entscheiden können, dass sie unwirksam war (Bestätigung was Staatsanwaltschaft und Gericht aber eh schon so sahen) oder sie für wirksam zu erklären… Dann hätte es gar einen Freispruch für Hoeneß gegeben. Bei der Strafzumessung kann man sich natürlich streiten ob es nicht doch ein besonders schwerer Fall war… Das Gericht wertete aber die Selbstanzeige und das Geständnis strafmildernd und lehnte damit einen besonders schweren Fall ab (dann nur Strafrahmen Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, statt Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und bis zu 10 Jahren). Wichtig ist hier: Wenn das Gericht die Selbstanzeige dazu nutzt, um den besonders schweren Fall abzulehnen, dann wird dieser Milderungsgrund quasi „verbraucht“. Das heißt er darf bei der späteren Bestimmung der Strafe nicht mehr voll berücksichtigt werden.

Hätte das Gericht aber den besonders schweren Fall nicht abgelehnt, dann wären die Strafmilderungsgründe Selbstanzeige und Geständnis noch nicht verbraucht worden und man hätte sie voll berücksichtigen müssen. Man hätte dann zwar einen Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren, aber mit stärkeren Strafmilderungsgründe, als beim Strafrahmen von Geldstrafe oder bis zu 5 Jahren. Am Ende hätte es somit auch bei einem besonders schweren Fall vermutlich keine deutlich höhere Strafe gegeben. Am Ende ist es also eher eine Frage wie man zu der Strafe kommt und nicht unbedingt eine Frage der Strafhöhe.

Somit war die Revision für die Staatsanwaltschaft eigentlich gar kein sinnvoller Weg irgendwas zu erreichen. Man hätte sicher etwas höher Urteilen können, man konnte aber auch zu 3 1/2 Jahren verurteilen. Das ist aber alles noch in dem Rahmen, in dem das Gericht frei entscheiden darf. Die Staatsanwaltschaft hat vermutlich die Strafhöhe auch als noch angemessen angesehen und sah keine juristischen Fragen mehr ungeklärt.