Die Juristenausbildung – Teil 2

Im ersten Teil ging es primär darum, was euch im Studium erwartet. Nun kann ich auf den Punkt zurückkommen, warum die Meinung über das Studium so unterschiedlich ausfällt. Die Frage ist nämlich: Warum studiert jemand Jura? Wer nur studiert um später als Jurist zu arbeiten, der wird sich mit dem wissenschaftlichen Teil sehr schwer tun. Die eigene Meinung und was richtig oder falsch ist steht in der Praxis nämlich nicht im Vordergrund, es geht mehr darum, dass man das Gesetz richtig anwenden kann und in der Regel wird eh dem BGH gefolgt. Das Studium, und die Beschäftigung mit der Wissenschaft, ist für diese Personen nur der Weg zum Ziel.

Wer sich aber auch für die Wissenschaft hinter der Rechtsanwendung begeistern kann, der wird nicht nur viel positiver durch das Studium gehen, sondern es auch deutlich einfacher haben. Denn die wirklich guten Praktiker die ich bisher kennenlernte, haben sich auch immer für die Wissenschaft hinter der reinen Rechtsanwendung interessiert. Oft wird nämlich die Rolle des Juristen falsch verstanden. Denn es gibt zwei große Irrtümer, denen auch häufig Juristen unterliegen. Sie lauten: 1. Juristen machen keine Gesetze sondern wenden sie nur an und 2. Juristen machen Gesetze und wenden sie nicht nur an. Im ersten Moment klingt es so, als könnte gar nicht beides falsch sein. Aber der Jurist sitzt tatsächlichen zwischen den beiden Positionen. Gesetze werden natürlich vom Bundestag „verabschiedet“ und auch die Richtung wird durch die Politik bestimmt. Die Umsetzung in Gesetzesform wird aber von Juristen gemacht. Nicht nur in den Ministerien, die die Gesetzestexte entwerfen, sondern auch später die Anwälte, Richter und Staatsanwälte, die die Norm in das bisherige System eingliedern müssen und tagtäglich das Recht anzuwenden haben.

So nun aber dann einige Sätze zum konkreten Studium: Hat man viel zu tun? Nicht zwangsweise… Die ersten 6 Semester sind recht gechillt. Anders als die Naturwissenschaftler hockt man net von Morgens bis Abends in der Uni oder über den Büchern. Auf Vorlesungen kann man als Jurastudent völlig verzichten, wenn man lieber aus Büchern lernt (muss man dann aber auch machen!). Das meiste muss man sich nämlich eh durch Bücher beibringen, der Stoff aus der Vorlesung reicht nicht aus. Anders sieht es in den vorlesungsfreien Zeiten aus. Während hier die meisten Studenten frei haben, beginnt für Juristen tatsächlich die harte Arbeit. Neben Praktika (3 Monate) stehen Hausarbeiten an. Eine Hausarbeit bedeutet tatsächlich, dass man 3-4 Wochen 8 Stunden+ in der Bibliothek sitzt. Je nach Universität ist die Anzahl der Hausarbeiten unterschiedlich. Ich hatte in Hamburg recht viele (3 kleine und 3 große), so dass in nahezu allen „Semesterferien“ 1  Monat für eine Hausarbeit draufgegangen ist.

Die wichtigste Eigenschaft ist und bleibt aber, dass man sich selbst zum Lernen motivieren kann und das am besten ab dem 1. Semester. Denn den Stoff den man im 1. Semester lernt, wird man nie mehr „nochmal“ lernen oder „vertiefen“. Im 1. Semester lernt man den Stoff auf dem Niveau, wie er am Ende im Staatsexamen erwartet wird. Von daher sollte man hier gleich komplett reinhauen. Zum Ende wird der Umfang aber schon recht heftig. Aber auch hier ist der „Umfang“ des Stoffes  das Problem und nicht der Schwierigkeitsgrad an sich.

Was aber wichtig ist: Man muss das Fach „leben“. Man muss sich in seinem Alltag immer juristischen Fragen stellen. Das Studium verändert, wie bereits in einem Blog vor paar Wochen geschrieben, den Blick auf die Welt. Man muss  einfach Spaß daran haben, wenn einem aus Versehen ein Brötchen mehr beim Bäcker eingepackt wird, darüber zu diskutieren, ob und wie man Eigentum an diesem Brötchen erlangen kann. Wenn man diesen „Status“ erreicht hat, wird man im Studium keine großen Probleme haben und auch später ein guter Jurist werden.

Dann noch einige Aussagen zum Arbeitsmarkt: Es gibt viele Juristen ja, der Bedarf an guten Juristen ist aber hoch. Ist man erfolgreich im Studium, dann öffnen sich viele Wege. Dabei geht es aber nicht nur um juristische Fähigkeiten. Mit allgemeiner Intelligenz und einer gewissen geistigen Kapazität hat man einen massiven Vorteil im Studium. Wer allgemein etwas langsamer im Kopf ist oder lediglich komische Inselbegabungen besitzt, kommt bei Jura nicht weit. Der gute Jurist ist ein Allrounder der alles ein bisschen kann. Daher gibt es auch keine „Geeks“ wie in Mathe oder Physik, sondern tatsächlich eher die Allrounder. Ein Jurist muss sich für die Welt, die Politik, die Gesellschaft und die Dokumentationen über Flugzeugträger auf N24 interessieren. Das ist meiner Meinung nach auch das wirklich spannende am Recht: Man lernt jeden Tag etwas neues aus komplett anderen Wissenschaften. Ein Anwalt der viele Verkehrsunfälle zu bearbeiten hat, der wird am Ende soviel Gutachten über Autos gelesen haben, dass er deutlich mehr über die Funktionsweise weiß, als der Durchschnittsbürger. Auch beim Thema Medizin erfährt man dann zum Beispiel, was eine Hirnkammerluftfüllung ist oder wie genau DNA-Spuren abgeglichen werden. Und spätestens wenn sich zwei Hasenzüchter über das richtige Paarungsverhalten von Hasen vor Gericht streiten, lernt man als Jurist wirklich was fürs Leben.

Aber das Studium bringt einem auch ganz praktisch etwas. Als Jurist wird einem beigebracht ein scharfes Schwert zu schwingen. Fundiertes juristisches Wissen nimmt einem vor allem die „Angst vor der Welt“. Der Staat und der Alltag verlieren deutlich an Bedrohlichkeit, wenn man die Ketten kennt, in denen sie liegen. Auch muss man ganz klar sagen, dass man im Alltag gewisse Vorteile hat. Obwohl alle Menschen in unserem Alltag „mitspielen“, kennen doch die wenigsten die Spielregeln. Jeder kann sich vorstellen: Wenn 4 Leute Mensch-Ärger-Dich-Nicht spielen und nur einer davon kennt das Regelwerk, dieser gewisse Vorteile hat.

Beispielsweise las ich erst kürzlich auf einem anderen Blog, wie erschrocken festgestellt wurde, dass „heutzutage wohl schon ein Handschlag zum Vertragsschluss reicht“… Ich weiß ja nicht, was man vorher meinte was genau man z.B. beim Bäcker beim Brötchenkauf macht, aber natürlich gibt es schon immer mündliche Verträge… Der mündliche Vertrag ist sogar der absolute Standardfall. Im Endeffekt ist es daher eh begrüßenswert, wenn die juristische Allgemeinbildung ausgebaut wird. Generell könnte man vielen Stammtischparolen (z.B. „Abschreckung wirkt“ oder „Eltern haften für ihre Kinder) damit den Boden entziehen.

Abschließend lässt sich daher sagen: Ich glaube es gibt kaum einen Studiengang, der einem so dabei hilft die Welt zu verstehen, wie das Jurastudium. Und dabei ist es ganz egal für was man sich interessiert. Man kann sich mit Kant und Hegel beschäftigen und der Frage nachgehen warum wir im Strafrecht strafen. Man kann seine Erfüllung aber auch darin finden, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man gesellschaftsrechtlich die Wirtschaftsordnung in Zügeln halten kann oder, wenn man denn ne ganz kranke Sau ist, sich über das passende Verfahren zur Festsetzung von Bebauungsplänen Gedanken machen. Aber über eines muss man sich immer Bewusst sein: Man beschäftigt sich mit einem von Menschen geschaffenem System. Nichts in diesem System ist an sich „naturgegeben“, lediglich das systematische Zusammenspiel aller Normen folgt einer gewissen Logik. Für genau diese Logik muss man eine Liebe entwickeln.

Die Juristenausbildung – Teil 1

In den Kommentaren zum letzten Beitrag hat and_iii mich gebeten doch allgemein etwas über das Jurastudium zu schreiben. Vielleicht ist es auch für den ein oder anderen Interessant der damit hadert ob er es beginnen soll oder nicht. Beim schreiben ist der Text aber etwas ausgeartet. Von daher unterteile ich den Beitrag in zwei Teile. Der erste Teil beschäftigt sich vor allem mit der Motivlage des Studium zu beginnen. Und es soll anhand von Beispiele aufzeigen, was der „Arbeitsteil“ und was der „wissenschaftliche Teil“ des Studiums ausmacht. Im zweiten Teil gehe ich dann darauf ein, was für Voraussetzungen man mitbringen soll, was meines Erachtens einen guten Juristen ausmacht und was einem das Studium im Alltag bringen kann.

Jetzt aber erst einmal zum Studium und der Motivation: Unter Jurastudenten und auch späteren Juristen ist die Meinung über das eigene Studienfach stark gespalten. Das geht von „bester Studiengang der Welt“ zu „würde ich nie wieder tun“. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass man Jura aus unterschiedlichen Motivlagen betreiben kann.

Im Endeffekt besteht Jura aus drei Faktoren: Talent, Fleiß und Glück. Wenn zwei dieser Faktoren gegeben sind, wird man ohne große Probleme durch das Studium kommen. Wer Talent hat und fleißig lernt kann auch eine schwere Klausur bestehen. Wer Talent für das Fach hat und etwas Glück mit den Aufgaben, wird auch problemlos mit seinem Handwerkszeug ohne Lernen weit kommen. Wer ohne viel Talent für das Fach daherkommt, der kann mit Fleiß eine Menge erreichen und wenn glückliche Aufgaben dran kommen, wird auch er seine Erfolge haben. In einem Mathematik-Studium würde man dagegen nur mit Fleiß wohl nicht wirklich weit kommen.

Der Stoff an sich ist, bis auf wenige Ausnahmen, nicht schwer. Die primäre Schwierigkeit besteht aus der Vernetzung verschiedener Normen. Vielleicht hier ein recht simples Beispiel, was die „Hauptarbeit“ bei einem Juristen ausmacht:

„Verbraucher (V) kauft bei einem Händler (H) einen Flügel. Auf bitten des V soll der Flügel am nächsten Tag per Spedition geliefert werden. Beim Transport entführen Aliens den Flügel. V ist der Meinung der H schuldet ihm weiterhin den Flügel. Der H ist der Meinung es sei das Problem des V, dass der Flügel nicht ankam.“

Die Ausgangslage ist der Kaufvertrag. Nach § 433 I BGB wird der Verkäufer verpflichtet dem Käufer die Sache „zu übergeben und das Eigentum zu verschaffen“. Der § 446 BGB sagt konkret, dass mit der Übergabe die Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Käufer übergeht. Wie fragen uns also, ob die Sache schon „übergeben“ wurde. Mit der „Übergabe“ ist die Verschaffung des Besitzes gemeint. In § 854 BGB steht dann „Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben“. Das bedeutet, der V hat Pech gehabt, wenn er bereits Besitz erlangt hat. Er hatte hier aber nie tatsächliche Gewalt über den Flügel, denn der war ja nie in seiner Nähe. Demnach wurde der Flügel nie übergeben und V kann weiterhin den Flügel verlangen.

Es greift aber eine Ausnahme. In § 447 BGB steht nämlich „Versender der Verkäufer auf Verlangen des Käufers die verkaufte Sache […] so geht die Gefahr auf den Käufer über, sobald der Verkäufer die Sache dem Spediteur ausgeliefert hat“. Nach dem Wortlaut greift diese Ausnahme ein, denn der Händler hat auf verlangen des Käufers die Sache verschickt. Dann wäre es Pech für V und er bekommt keinen zweiten Flügel geliefert.

Von der Ausnahme finden wir aber wieder eine Ausnahme und zwar § 474 II BGB. Der Regelt, dass bei Verbrauchsgüterkäufen der § 447 nicht anzuwenden ist. Was ein Verbrauchsgüterkauf ist sagt und § 474 I BGB und zwar der Kauf von beweglichen Sachen durch einen Verbrauche von einem Unternehmer.

Damit regelt die Ausnahme von der Ausnahme, dass die Ausnahme nicht gilt. Der V kann sich somit freuen, denn als Verbraucher trägt er das Risiko nicht und es ist das Problem des Händlers, dass der Flügel nicht ankam.

Genau DAS ist ein Musterbeispiel was juristische „Arbeit“ ist und zwar handelt es sich hier um die reine „Rechtsanwendung“, wie sie auch in der späteren Praxis relevant ist.

Was genau muss hier nun „gelernt“ worden sein? Ganz ehrlich: Ich kannte die Normen (die sind aus dem 2. Semester) nicht mehr wirklich. Was wusste ich also? Wo der Kaufvertrag geregelt ist (§ 433 BGB) ist Standardwissen, da man die Norm  so ungefähr 10.000 Mal in seinem Studium lesen wird. Wirklich lernen musste man hier eigentlich zwei Sachen: Man muss die Basics des Schuldrechts können (Wer muss wo leisten) und man muss wissen, dass der Gesetzgeber den Verbraucher regelmäßig schützt. Im Optimalfall weiß man, dass es irgendwo so eine Norm gibt, die den Verbraucher vor dem Untergang der Sache schützt (und sucht sie dann) oder aber man hat einfach ein schlechtes Bauchgefühl mit dem Ergebnis und macht sich dadurch auf die Suche nach einer Sondervorschrift.

Das ist wie gesagt die juristische „Arbeit“. Den Gegenpool bildet der wissenschaftliche Teil. Dieser besteht primär aus Streitständen. Diesmal zwei kurze Beispiele aus dem Strafrecht:

„Die Pflegeschwester S kann das Leiden ihrer todkranken Patientin P nicht mehr ertragen. Sie drückt überraschend ein Kissen auf das Gesicht der wehrlosen P, bis diese verstirbt.“

„Liebhaber L springt völlig überraschend aus dem Gebüsch und ersticht den, ihm bis dato unbekannten, Ehemann E, um Frau F für sich alleine zu haben.“

Ein kurzer Exkurs um es besser zu verstehen: Wird ein Mensch vorsätzlich getötet ist grundsätzlich der Totschlag (§ 212 StGB) einschlägig. Das bedeutet Freiheitsstrafe zwischen 5 und 15 Jahren. Begeht dagegen jemand einen Mord gibt es grundsätzlich IMMER lebenslänglich. Wann es ein Mord ist bestimmt sich nach den in § 211 StGB aufgezählten Mordmerkmalen. Zum Beispiel wenn jemand aus Habgier tötet oder, für unser Beispiel relevant, heimtückisch. Wichtig ist nur: Es gibt keinen „Spielraum“ für den Richter bei Mord, die Strafe lautet lebenslänglich.

Heimtückisch bedeutet, dass die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt wird. Das heißt also, dass das Opfer mit keinem Angriff rechnet und sich daher nicht wehren kann.

Beim ersten Beispiel, mit der Pflegeschwester, liegt es aber völlig auf der Hand, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe (früheste Entlassung nach 15 Jahren) völlig unangemessen ist. Als der Gesetzgeber an den heimtückischen Mörder dachte, hat er sicher nicht an die Krankenschwester gedacht. Als Totschlägerin würde sie eher an den 5 Jahren Freiheitsstrafe (vielleicht sogar noch tiefer wegen einem minder schweren Fall) kratzen, statt am oberen Bereich.

Sie nutzt aber ganz offensichtlich die Arg- und Wehrlosigkeit der Patientin aus. Nach dem Wortlaut müsste sie daher als Mörderin bestraft werden. Die Juristen kennen grundsätzlich vier Auslegungsmethoden: Wortlaut, systematische (z.B. in welchem Abschnitt des Gesetzes findet sich die Norm), historische/genetische (was wollte der damalige Gesetzgeber und wie hat sich die Norm in den Jahren entwickelt) und teleologische (was ist Sinn und Zweck der Norm) Auslegung.

Der BGH hat hier nun gesagt, der Wortlaut spricht zwar für Mord, aber der damalige Gesetzgeber wollte sicher nicht eine Tötung aus Mitleid sanktionieren (genetische Auslegung). Darüber hinaus soll der Mord besonders verabscheuenswerte Taten verurteilen und nicht Tötung aus Mitleid (teleologische Auslegung). Daher sagt der BGH, dass man bei der Heimtücke „Hineinlesen“ muss, dass die Tötung mit „feindlicher Willensrichtung“ geschehen muss. Daher kommt der BGH hier zum Ergebnis, dass kein Mord vorliegt.

Beim zweiten Beispiel, dem Liebhaber, ist grundsätzlich auch wieder ein Mord aus Heimtücke zu bejahen. Hier sagt die Wissenschaft aber: Der Mord ist eines der schwersten Verbrechen im Strafrecht, daher müssen die Mordmerkmale sehr eng ausgelegt werden. Daher sagen einige Stimmen, dass die Tat in ihrer Gesamtwürdigung besonders verwerflich sein müsste. Eine andere Ansicht aus der Literatur verlangt für die Heimtücke dagegen, dass ein besonderer „Vertrauensmissbrauch“ vorliegen muss.

Für unser zweites Beispiel würde es heißen, die Wissenschaft würde zum Ergebnis kommen, dass kein Mord vorliegt. Entweder weil die Gesamtwürdigung nicht besonders verwerflich ist (kann man aber auch anders sehen… Ist Mord aus Liebe besonders verwerflich oder gerade nachvollziehbar?) oder weil es kein „Vertrauen“ zwischen E und L gab. Die Rechtsprechung hält davon nichts und würde L wegen Mordes verurteilen.

In einer Klausur oder Hausarbeit müsste der Jurastudent nun all diese Meinungen aufwerfen (man muss also gelernt haben, dass es bei der Heimtücke ein Problem gibt). Im Optimalfall weiß er noch, was die Ansichten im Großen und Ganzen sagen. Und danach muss er argumentieren: Was spricht für die eine Ansicht (z.B. dass der Mord eine Ausnahme bleiben soll und daher nur bei verwerflichen Taten angewandt werden soll) oder was spricht gegen die Ansicht (der Gesetzgeber schrieb nunmal nichts von einem „Vertrauensmissbrauch“). Am Ende muss man sich für eine Ansicht entscheiden, die der eigenen Meinung nach die besseren Argumente hat. Die Argumente muss man übrigens nicht auswendig lernen, im Optimalfall kann man sie sich selbst herleiten, anhand der typischen Auslegungsmethoden.

Das sind die zwei groben „Bereiche“ die einem im Studium erwarten. Das reine „abarbeiten“ der Norm und das logische Vernetzen des gelernten auf der einen Seite und das wissenschaftliche Auslegen von Normen auf der anderen Seite. Im zweiten Teil geht es dann um die konkrete Arbeitsbelastung im Studium und dessen Auswirkung auf den Alltag.

Warum wir strafen?

In den Kommentaren wurde von Lauchie nach meiner persönlichen Meinung zum Thema „Strafen“ gefragt. Was ganz lustig ist, da erst vor zwei Wochen unsere Professorin im Strafrecht-Schwerpunkt uns dazu ermahnte, uns genau über diese Frage Gedanken zu machen. Am Ende des Schwerpunktes sollte jeder eine ganz persönliche Ansicht zum Thema „Strafen“ haben.

Vorweg vielleicht mal die klassischen Theorien zum Thema. Im groben werden die Strafzweck-Theorien in „absolute“ und „relative“ Strafzwecktheorien unterteilt. Die „absolute Strafzwecktheorie“ setzt vor allem auf „Sühne“. Allen voran Kant war Anhänger der absoluten Strafzwecktheorie. Kant war der Meinung, dass jeder erwachsene Mensch ein Recht auf Strafe hat. Deutlich macht Kant dies mit seinem „Inselbeispiel“. Wenn ein Inselvolk sich dazu entschließt sich aufzulösen und jeder in eine andere Himmelsrichtung segelt und sie sich nie mehr wiedersehen würden, dann müssen sie, nach Kant, die letzten Gefangenen hinrichten.

Würden sie sagen „was solls, lassen wir ihn einfach zurück“, würden sie sich nach Kant selbst in Unrecht begeben. Denn wenn man sagt, dass man eine Person nur bestraft, damit die Gesellschaft erzogen wird (z.B. Abschreckung oder Verhinderung zukünftiger Straftaten) würde man den Verbrechen zu einem Objekt, quasi zu einer Sache, degradieren. Als Subjekt der Gemeinschaft hat der Gefangene aber ein Recht auf seine Strafe. Im Großen und Ganzen berufen die Anhänger der absoluten Strafzwecktheorie sich zumeist auf die „Gerechtigkeit“. Ein Anhänger war unter anderem auch Hegel. Hier kommt die Ansicht durch, dass ein Übel durch ein anderes Übel aufgewogen werden könnte.

Was die absolute Strafzwecktheorie leider nicht beantworten kann ist: Warum muss auch bestraft werden, wenn gar kein Übel oder Schaden mehr entstanden ist? Zum Beispiel ein Dieb der eine Sache zurückgibt und sich entschuldigt.

Dem entgegen stehen die relativen Strafzwecktheorien, diese wenden sich aber von der „Sühne“ und gehen hin zur Vermeidung zukünftiger Straftaten. Erster Anhänger war Seneca bereits 65 n. Chr. Diese relativen Strafzwecktheorien unterteilten sich weiter in „Generalprävention“ und „Spezialprävention“, wobei diese sich jeweils noch in „negativ“ und „positiv“ unterscheiden.

Die „Generalprävention“ zielt auf die gesamte Gesellschaft ab. Die negative Generalprävention ist mehr oder weniger die „Abschreckung“. Feuerbach war ein Anhänger der negativen Generalprävention. Die Androhung mit Strafe soll einen psychologischen Zwang aufbauen, die Umsetzung der Strafe soll dann lediglich symbolisieren, dass man es ernst meint. Problem: Es gibt keine wissenschaftliche Studie die die Wirkung von Abschreckung belegt. Im Gegenteil: In den USA, die mit der Todesstrafe, als oder härtesten Strafe, drohen, steigt die Kriminalität. In den USA sitz 1% der Bevölkerung im Gefängnis, in Deutschland sind es unter 0,1%. Ferner kennen die meisten Verbrecher die angedrohte Strafe gar nicht. Bei Wohnungseinbrecher wussten 2/3 der Täter bei einer Befragung gar nicht welche Strafe ihnen droht. Zusätzlich ist es natürlich ein Problem, dass man hier einen „Zwang“ aufbaut. Der Staat versucht also seine erwachsene Bevölkerung zu „erziehen“, wie einen Hund.

Die positive Generalprävention basiert dagegen auf Stärkung des Vertrauens der Allgemeinheit in das Strafsystem. In dem die Leute also sehen „oh da wird jemand bestraft“ gewinnt die Norm an Geltungskraft. Denn ein Gesetz an das sich keiner hält und bei dem keine Sanktion droht, wird irgendwann verschwinden.

Den Generalpräventivenansätzen gemein ist, dass sie nicht erklären können, warum man auf leichte Vergehen leichte Strafen verhängt und auf schwere Vergehen schwere Strafen. Warum nicht einfach 3 Jahre für alle Strafen? Oder 2 Jahre? Als Abschreckung und zur Geltung der Norm müsste auch eine geringe Strafe ausreichen.

Als letztes gibt es dann noch die Spezialprävention. Ein großer Anhänger war Franz von Liszt. Die positive Spezialprävention zielt auf die Besserung des Straftäters. Dadurch dass er bestraft wird, zum Beispiel im Gefängnis, ergibt sich die Möglichkeit ihn zu bessern. Zum Beispiel in dem man eine Therapie macht oder ihm eine Ausbildung ermöglicht. Das Problem: Ein Jugendlicher ohne Schulabschluss der regelmäßig Essen im Supermarkt klaut weil er kein Geld hat, müsste man für 6 Jahre ins Gefängnis schicken: 3 Jahre für die Schulausbildung und 3 Jahre für die Berufsausbildung… Das ist mit Recht und Gerechtigkeit aber kaum zu vereinbaren.

Als letztes gibt es dann noch die negative Spezialprävention. Franz von Liszt bezeichnet es als „Unschädlichmachen“ von nicht besserungsfähigen Verbrechern. Im Endeffekt geht es darum, dass die Verbrecher keine neuen Straftaten begehen können, solange sie im Gefängnis sitzen. Problem: Irgendwann kommen sie wieder raus.

So das alles sind Theorien, die teilweise 2000 Jahre alt sind. In den letzten 100 Jahren wurde sich dazu kaum Gedanken gemacht. In Deutschland wird die Vereinigungstheorie von der Rechtsprechung vertreten, das bedeutet, dass von allem irgendwie was mit einwirkt. Dabei zählen die absoluten Straftheorien aber zumeist nur als „Begrenzung nach oben“. Das bedeutet, dass niemand härter bestraft werden sollte, als er „Schuld“ auf sich geladen hat.

Tja und die Frage war nun nach meiner persönlichen Meinung warum wir strafen. Die absoluten Straftheorien als Strafgrund mag ich nicht teilen. Durch die Zufügung von Übel wird kein anderes Übel rückgängig gemacht. Ein Verbrechensopfer bleibt ein Verbrechensopfer auch wenn ein Täter hart bestraft wird. Dazu interessanter Fakt: Verbrechensopfer streben in der Regel keine harte Bestrafung an, es reicht ihnen meist eine Feststellung, dass ihnen Unrecht geschehen ist. Die aufgeladene Schuld als Begrenzung der Strafhöhe halte ich aber für sinnvoll.

Auch stört es mich zum Teil, dass dem Erfolgsunwert ein so hoher Stellenwert eingeräumt wird, im Vergleich zum Handlungsunwert. Als Beispiel: Fährt jemand über eine rote Ampel und nichts passiert, kostet das ganze 90 Euro und gibt 1 Punkt in Flensburg. Fährt jemand über eine rote Ampel und erwischt einen Fußgänger tödlich wird er wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und ihm droht bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Dabei wurde der absolut gleiche Handlungsunwert begangen: Es wurde über Rot gefahren. Lediglich von Glück oder Pech hing der Eintritt des Erfolges ab (ob etwas passiert ist oder nicht) und davon hing dann auch die Bestrafung ab… Stört mich.

Von Abschreckung halte ich nicht viel. Es mag ganz vereinzelt funktionieren… Zum Beispiel bei Geschwindigkeitslimits fahre ich so, dass es nicht zu teuer wird. Im Großen und Ganzen, vor allem bei schwereren Delikten, funktioniert das aber kaum… Keiner sagt „bei 7 Jahren begehe ich einen Mord und bei 8 nicht“…

Die positive Generalprävention, also die Stärkung des Vertrauens im Strafsystem mag tatsächlich für ein funktionierendes System notwendig sein, kann aber nur die Bestrafung an sich erklären und nicht die Höhe. Genauso wie bei der Abschreckung darf nicht an einer Person ein Exempel statuiert werden.

Bleibt die positive Spezialprävention. Sicherlich der beste Strafgrund. Dadurch können zukünftige Straftaten verhindert werden. Damit wird zwar die vergangene Tat nicht rückgängig gemacht, aber ein zukünftiges Opfer wird vermieden. Aufgrund finanzieller Engpässe geschieht das leider häufig aber nicht. Vor allem bei der Entlassung haben mir mehrere Strafgefangene schon erzählt, dass sie einfach irgendwann vor die Tür gesetzt werden und dann auf sich alleine gestellt sind. Die nächste Straftat ist dann quasi vorprogrammiert.

Tja und am Ende gibt’s noch die negative Spezialprävention. Im Endeffekt ist das eine Kapitulation. Man gesteht sich ein, dass man diese Person nicht von Straftaten abhalten kann. Studien zeigen zwar, dass selbst als untherapierbare geltende Straftäter noch gut therapiert werden können, dazu fehlt aber wieder das Geld. Wenn jemand aber tatsächlich so gefährlich ist, dass man ihn nicht mehr rauslassen kann, dann ist das vermutlich  das richtige Mittel.

Als jemand das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung verfassungswidrig war und mehrere, als gefährlich geltende Häftlinge, entlassen werden musste, wurden lediglich 14% davon straffällig… Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass man zuvor 86% von ihnen zu unrecht (weil sie ja nicht mehr gefährlich waren) eingesperrt gelassen hat. Das darf in einem Rechtsstaat eigentlich nicht sein.

Am Ende bleibt für mich somit eigentlich nur, dass der Strafzweck die Besserung des Straftäters sein kann. Auch wenn dies sicherlich ein Problem ist, weil der Staat hier erwachsene Bürger „erzieht“. Und damit meint man nicht nur, dass die Bürger dazu erzogen werden sich nicht gegenseitig zu töten. Bis vor wenigen Jahrzehnten war noch die Homosexualität eine Straftat… Der Staat versuchte hier also seinen Bürgern die Homosexualität abzuerziehen… Sehr fraglich ob dies Aufgabe des Staates sein darf. Limitierend muss aber immer die Schuld sein. Jemand darf nur so hart bestraft werden, wie die Schuld es erlaubt.

Somit bin ich am ehesten auf einer Linie mit Franz von Liszt und auch der Rechtsprechung. Wobei man natürlich auch die Frage aufwerfen könnte, was passieren würde, wenn wir gar nicht strafen würden? Würde es dann mehr Morde geben? Man kann es bezweifeln.

Aus anderem Holz geschnitzt

In den letzten Tagen musste ich mehrfach die Idee vom Jugendstrafrecht erklären. Dabei dachte ich, dass es sicher auch ein spannendes Thema für einen Blogeintrag ist. Zuvor aber vielleicht noch einige allgemeine Worte zu Strafrechtlern und da die rückblickend so lange geworden sind, wird es noch einmal einen extra Post zum Jugendstrafrecht geben.

Strafrechtler sind unter den Juristen ein ganz eigenes Völkchen, ich denke das kann man so sagen. Juristisch wird das Strafrecht häufig belächelt und vielleicht mag es für Ziviljuristen tatsächlich von den rechtlichen Fragen übersichtlicher (aber auch einfacher?) wirken. Auch muss man wohl zweifelslos sagen, dass in der strafrechtlichen Praxis die wissenschaftliche und rechtliche Behandlung eher ein untergeordnete Rolle spiel, häufig wird doch sehr Zielorientiert argumentiert und gehandelt.

Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es im Strafrecht um deutlich mehr geht, als in den meisten zivilrechtliche Verfahren. Dabei meine ich nicht einmal die Strafe die am Ende rauskommt, obwohl eine Freiheitsstrafe natürlich ein ganz anderes Kaliber darstellt, als irgendein verlorener Streit um einen Mangel an der Kaffeemaschine. Im Zivilrecht kommen wohl höchstens die familienrechtlichen Streitigkeiten an das emotionale Niveau eines Strafverfahrens ran.

Viel mehr meine ich auch, dass das Strafrecht häufig der verfassungsrechtliche Fels in der Brandung. Im Zivilrecht kommt am Ende häufig das raus, was nach dem Bauchgefühl schon irgendwie so in Ordnung ist. Selbst wenn ein Verfahren anders ausgeht als man es wohl selbst entschieden hätte, so bleibt doch selten ein Gefühl der kompletten „Ungerechtigkeit“.

Im Strafrecht blickt man dem Bösen dagegen täglich ins Gesicht. Egal wie das Strafverfahren am Ende ausgeht, die Tat kann nicht ungeschehen gemacht werden. Und bei jedem Freispruch ist am Ende ein Gefühl der Unzufriedenheit. Entweder konnte der schuldige Angeklagte nicht überführt wurde, das Opfer hat gelogen oder der Angeklagte war es wirklich nicht und der schuldige entgeht (zumindest vorerst) unerkannt seiner Strafe. Aber auch bei einer rechtmäßigen Verurteilung kann man nicht wirklich von einer Befriedigung sprechen. Das Opfer bleibt Opfer und dem Täter wird eine Strafe auferlegt, die meist völlig ungeeignet ist um zukünftige Straftaten zu verhindern und lediglich verhängt wird, weil man nicht weiß was man sonst mit ihnen machen soll.

Genau hier setzt meines Erachtens die Motivation der Strafrechtlicher (und damit die natürliche Selektion) ein. Um als Strafrechtler mit dieser Sache zufrieden sein zu können, muss man davon überzeugt sein, dass es richtig ist was dort gemacht wird. Es ist richtig, dass nicht jeder Straftäter seiner Strafe zugefügt wird. Nicht jedes moralische Fehlverhalten, muss auch strafrechtliche Folgen haben. Und wenn die vorher aufgestellten Regeln nicht zur Bestrafung des Täters führen, dann muss man tatsächlich davon überzeugt sein, dass es richtig ist. Der Sexualstraftäter dessen Straftat verjährt ist gehört freigesprochen. Nicht weil das was er getan hat irgendwie zu rechtfertigen ist, sondern weil wir die Regel so festgeschrieben haben.

Dazu muss man eine recht liberale Einstellung zum Strafrecht haben. Man muss damit leben, dass Kriminalität zum zusammenleben gehört. Hier kommt es meiner Meinung nach aber entscheidend auch auf die Position des Juristen im Strafverfahren an. Vom Richter wird vermutlich der größte Kraftakt  verlangt. Der Richter hat zu Urteilen und ein Richter der trotz eigener Überzeugung der Täterschaft aus Mangel an Beweisen freispricht, hat meinen vollsten Respekt. Auch der Staatsanwalt steht häufig doof da. Ergeht ein Freispruch hat er entweder den falschen angeklagt, oder was noch schlimmer ist, er hat es nicht geschafft einen schuldigen zu überführen.

Die entspannteste Position hat der Strafverteidiger. Wenn der Strafverteidiger seinen Job richtig macht, dann hat er einfach dafür gesorgt, dass die Regeln eingehalten wurden. Führt dies zu einem Freispruch, dann liegt es nicht primär am Strafverteidiger, sondern an einem Fehler von Staatsanwaltschaft oder Gericht. Der Strafverteidiger kann einen schuldigen Täter nicht vor seiner formal vorgesehenen Strafe bewahren, der Strafverteidiger kann lediglich zwei Sachen machen. Einerseits kann er verhindern, dass der Angeklagte eine Strafe bekommt, die er nach unserem Rechtssystem nicht bekommen dürfte und andererseits kann er innerhalb der Strafzumessung dafür sorgen, dass die Strafe im vertretbaren Rahmen gering ausfällt. Der BGH spricht hier vom „Spielraum“ des Richters, dieser geht von der „schon schuldangemessenen Strafe“ bis zur „noch schuldangemessenen Strafe“.

Damit der Post hier nicht zu lang wird: Genau solch eine Betrachtungsweise ist meiner Meinung nach Grundvoraussetzung um sich im Strafrecht (zumindest außerhalb Bayerns) zu bewegen. Dies erklärt auch, warum es häufig Urteile gibt, die für den „Durchschnittsbürger“ zu gering ausfallen. Einerseits liegts natürlich daran, dass der Durchschnittsbürger relativ wenig Ahnung von der kriminalistischen Wissenschaft hat. Er weiß in der Regel nicht, dass „Abschreckung“ nicht funktioniert und Haftstrafe einen Menschen meist nicht bessert. Auch liegt es sicherlich daran, dass ein Strafrechtler täglich mit Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung zu tun hat. Da ist ein Diebstahl eher eine Kleinigkeit.

Aber ein ganz entscheidender Faktor ist sicher auch, dass das Strafrecht von überwiegend liberalen Menschen besiedelt ist. Auch wenn man sich mit zivilrechtlichen Praktikern oder auch mit zivilrechtlichen Studenten unterhält, so ist ihr Verständnis für manche strafrechtliche Vorgehensweisen häufig sehr begrenzt. Es geht sogar soweit, dass der „Sühne“ ein höherer Stellenwert in der Strafzumessung eingeräumt wird, als tatsächlich dem Vorsatz weitere Straftaten zu verhindern.

Ein gutes Beispiel ist die Jugendkriminalität im Bagatellbereich. Wissenschaftlich recht gut fundiert ist die Erkenntnis, dass bei Jugendlichen im Bereich von jugendtypischer Kriminalität (Ladendiebstahl, leichte Körperverletzung usw) die Diversion, das heißt das sofortige und folgelose Einstellen des Verfahrens zu einer geringen Rückfallquote führt, als jegliche Sanktion. Darum wird in Hamburg beispielsweise selbst beim dritten Ladendiebstahl eines Jugendlichen in über 90% der Fälle das Verfahren sofort eingestellt. Einfach weil man weiß, dass die Jugendlichen dadurch von späterer Kriminalität fern gehalten werden. In Bayern werden zwar beim ersten Ladendiebstahl auch 100% eingestellt, weil man sich der Wissenschaft nicht ganz verschließt, es erfolgt aber dann bei Wiederholungstätern ein deutlicher Rückgang. Man nimmt somit in Kauf, dass Jugendliche im späteren Leben schwerer Kriminalität begeht, weil man in jungen Jahren nicht auf den Strafanspruch verzichten möchte.

All in all sind Strafrechtler ein besonderes Völkchen unter den Juristen. Sie werden häufig von anderen Juristen belächelt und dies oft auch nicht ganz zu unrecht. Man mag es positiv oder negativ sehen, aber um glücklich im Strafrecht zu werden, darf man vermutlich kein Musterjurist sein. Im Endeffekt muss jeder Jurist am Ende des Tages selbst entscheiden, ob er in den Abgrund des Bösen hinabsteigt oder sich doch lieber im Armanianzug und Rolex-Uhr um Firmenfusionen kümmert (meist schließt sich das nicht mal aus!)… Wer am Ende des Tages mehr für die Gesellschaft getan hat, sieht wohl jeder Seite anders.

Das Gehirn und seine Manipulierbarkeit

Der Zeugenbeweis ist immer noch der meistgeschätzte Beweis im Strafprozess. So muss ein Zeuge vor Gericht grundsätzlich persönlich Aussagen, ein Protokoll seiner Aussage bei der Polizei darf nur in bestimmten Ausnahmen verlesen werden. Dabei ist der Zeuge das wahrscheinlich schlechteste Beweismittel und dies liegt mehr oder weniger darin wie unser Gedächtnis funktioniert.

In Rechtspsychologie ging es quasi nur um die Frage, wie stark das Gehirn Erinnerungen verfälscht. Dabei gibt es unterschiedliche Effekte die auftreten können. Einerseits natürlich sogenannte Suggestivfragen. Suggestion ist eine große Gefahr bei der Vernehmung von Zeugen. Bei Kindern kann man Suggestionsraten von 80% erreichen, das heißt bei 8 von 10 Kindern kann man etwas einpflanzen. Bei Erwachsenen liegt die Rate, je nachdem was eingepflanzt werden soll, bei bis zu 60%.

Ein ganz krasses Negativbeispiel sind die Wormer Missbrauchsprozesse zwischen 1993 und 1997. In einem Scheidungsverfahren bezichtigte eine Frau ihren Ehemann des Kindesmissbrauchs. Ein Kinderschutz-Verein  vernahm dann diese Kinder und deckte so einen Kindesmissbrauch in unbekannten Ausmaßen auf. 25 Personen wurde in drei Verfahren schwerer Kindesmissbrauchs innerhalb eines angeblichen Pornorings vorgeworfen. Gegen viele wurde Untersuchungshaft angeordnet, die Kinder wurde aus den Familien genommen und in Pflegefamilien gesteckt.

Im Prozess stellte sich dann heraus, dass viele Aussagen so nicht stimmen konnten. Die aussagepsychologischen Gutachten der Aussagen der Kinder deuteten auf Suggestion hin. Zum Teil wurde von Missbräuchen zu Zeitpunkten berichtet, da waren die Kinder noch gar nicht geboren. Auch sollen die Eltern ihre Kinder missbraucht haben, als bereits Untersuchungshaft angeordnet war.

Der Prozess endete, obwohl die Staatsanwaltschaft bis zu letzte teilweise 13 ½ Jahre Freiheitsstrafe forderte, in allen Fällen mit Freispruch. Der Richter entschuldigte sich bei allen Beschuldigten und erklärte, dass es den angeblichen Massenmissbrauch nie gegeben hat. Trotzdem hatte das Verfahren massive Folgen für alle Beteiligte.

Eine angeklagte Großmutter verstarb in Untersuchungshaft. Die Beschuldigten verloren nicht nur ihren Job, sondern waren durch ihre Anwaltskosten teilweise auch finanziell ruiniert. Viele Ehren zerbrachen. Das vermutlich schlimmste war aber wohl, dass die Familien ihre Kinder nicht zurückbekamen. Teilweise fand solch eine Entfremdung in den Kinderheimen und Pflegefamilien statt, dass eine Rückkehr nicht mehr möglich war. Bis heute glauben einige „Scheinopfer“, dass sie tatsächlich von ihren Eltern missbraucht wurde. Und wäre dies nicht genug: Der Heimleiter, bei dem die Kinder untergebracht wurden, wurde rund 10 Jahre später rechtskräftig wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt.

Es muss aber nicht immer Suggestion sein, es kann auch einfach das Gehirn einen Streich spielen. Bekannt ist zum Beispiel der sogenannte „Waffenfokus“. Eine Person der eine Waffe ins Gesicht gehalten wird, kann sich anschließend nicht mehr an die Person erinnern, sondern maximal noch an die Waffe und die Hand. Es gibt dabei auch Experimente beim Zahnarzt. Patienten die zum ersten Mal bei einem Zahnarzt waren, können anschließend in der Regel den Zahnarzt nicht beschreiben.

Aber damit komme ich auch auf meine eigentliche Geschichte, die ich erzählen wollte. Gestern als ich auf den Bus wartete, hielt ein Wagen an der Ampel und eine Frau gestikulierte wild ihrem Beifahrer. Der Beifahrer stieg aus und schaute recht planlos und guckte sich andauernd um. Alles sehr suspekt. Die Frau fuhr weiter und der Mann machte sich bei meinem Haus am Klingelschild zu schaffen.

Da fragte ich mich, wie gut ich wohl noch als Zeuge taugen würde, wenn ich das Auto und die Fahrerin beschreiben müssten…

Hum der Wagen war jedenfalls ein VW Kombi, vermutlich ein Passat, ca 15 Jahre alt. Es war ein dunkles Lila oder dunkles Blau. Die Frau war schon älter so ca. 60 und hatte längeres lockiges braunes Haar. Ja da war ich mir recht sicher.

3 Minuten später kommt der Wagen erneut und parkt direkt neben mir ein… Ja es war ein VW Kombi… Er war aber knalle Türkis-Grün und es war kein Passat. Die Frau war maximal 40 Jahre alt und ihr langes lockiges braunes Haar hat sich anscheinend ganz schnell zu einer nichtlockigen Kurzhaarfriseur verwandelt…

Ich war ein bisschen schockiert… Vor allem wegen der Farbe des Autos… Ich hätte schwören können, dass es ein fast schwarzes Lila war… Auch bei den Locker und dem Alter wäre ich mir zu 100% sicher gewesen.

Im Endeffekt zeigt es aber, wie ungenau Zeugenaussagen sind. Dies führt nicht nur dazu, dass ein tatsächlicher Täter nicht erwischt wird, sondern, was noch viel schlimmer ist, ein Unschuldiger wird möglicherweise deswegen angeklagt oder gar verurteilt.

Aber was vielleicht tröstlich ist: Mit aussagepsychologischen Gutachten kann man heutzutage ganz gut die Glaubhaftigkeit einer Aussage festgestellt werden. Meine Professoren gingen, bei fachgerechter Durchführung, von einer Fehlerquote von unter 5% aus. Zumindest wenn es um eine belastende Aussage geht. Wenn jemand lediglich eine entlastende Aussage macht, also ala „Er hat X nicht getan“ oder „Er war nicht an Ort Y“, ist das ganze schwerer, da weniger Informationen vorliegen. Die aussagepsychologische Begutachtung scheitert aber dann, wenn der Zeuge selbst glaubt, dass es stimmt was er da gesehen hat. Vor allem bei Suggestionen versagt diese Technik leider häufig.

Rezept für Kriminalität: 1x Täter, 1x Opfer und 1x Tatgelegenheit

Die Kriminologie beschäftigt sich zum großen Teil mit der Frage wie Kriminalität entsteht. Dabei gibt es unterschiedliche Theorien mit verschiedenen Ansätzen. Der simpelste Grundsatz lautet, dass man drei Faktoren benötigt: Einen Täter, ein Tatopfer und eine Tatgelegenheit. Prävention kann man dadurch erreichen, dass man einen dieser Faktoren ausschaltet.

Zum Beispiel indem man verhindert das Personen Täter werden, zum Beispiel durch gezielte Präventionsprogramme bei Risikogruppen. Eine andere Möglichkeit ist, dass man Opfer vermeidet, dies kann zum Beispiel durch die Sensibilisierung erfolgen. Und der dritte Faktor ist die Tatgelegenheit. Den dritten Faktor wenden wir jeden Tag an, wenn wir zum Beispiel unsere Wohnungstür abschließen. Aber auch städtebaulich kann man hier drauf einwirken, zum Beispiel in dem „Tote Plätze“ vermeidet. Tote Plätze bezeichnet Orte die schwer einsehrbar sind und keine Fluchtwege bieten. Auch Frauenparkplätze in Parkhäuser nsollen die Tatgelegenheit verhindern. Warum ich das erzähle? Weil genau diese Faktoren selbst live bewusst erlebt habe.

Als Jurist geht man mit anderen Augen durch die Welt. Ich glaube kaum ein Studiengang prägt einen Menschen so, wie das Jurastudium. Sieht man ein Loch mit Sicherungsbänder, denkt man an Verkehrssicherungspflicht. Steht man an der Kasse, zählt man die einzelnen Willenserklärungen und wenn man „Eltern haften für ihre Kinder sieht“, exerziert man, unter welchen Umständen die Eltern tatsächlich nur haften. Besonders tritt dieser Effekt auf, wenn mehrere Juristen auf einem Haufen sind.

Ich war mit einem Freund, der das erste Staatsexamen schon hinter sich hat und ebenfalls auf Strafrecht spezialisiert ist, im Stadtteil in dem ich aufgewachsen bin. Man fühlte sich dort tatsächlich gleich 15-Jahre jünger. Es ist das tiefste Harburg und kann sicherlich als sozialer Brennpunkt bezeichnet werden. Hoher Ausländeranteil und geringer sozialer Stand sorgen für eine hohe Kriminalität.

Wir waren am Abend, so gegen 20 Uhr, an einem Teich. Schon der Weg dorthin war komisch. Ein dunkler weg unter einer Autobahnbrücke. Links ein kleiner Fluss und rechts Gebüsch. Kein Fluchtweg links oder rechts und nur leichtes Licht von Laternen. Begegnet sind uns vereinzelt typische südländische Ghettogangsta. Wir schauten uns am Ende an und einigten uns einstimmig darauf, dass das ein ganz typisches Beispiel für einen „toten Platz“ ist. Und waren uns auch einig, dass wir auch alleine, obwohl wir beide sicherlich wehrfähige Personen sind, solche Wege meiden würden.

Wir gingen dann im Dunklen ein stück um den Teich und trafen auf eine Gruppe Südländer so ca. 8-10 Stück. Während mein Kollege noch scherzte „lass erstmal den Jogger vorlaufen und gucken ob er lebend dran vorbei kommt“, hab ich todesmutig nur gesagt „Ich bin strafrechtlicher, mir können die nix!“. Alle paar Meter trafen wir auf kleine Grüppchen männlicher Jugendlicher die ihre „Geschäfte“ abzogen. Teilweise konnte man Wortfetzen auffangen ala „Ich fick die Bullen!“, „Ich geh mir erstmal im Wald jetzt einen Bauen“ usw…

Dann saßen wir am Ufer und es kamen zwei Südländer an uns vorbei. Standen dann so ca 1-2 Meter von uns weg und erzählten „Alta dann derbe Falsche Kopf und er derbe Platzwunder musste derbe genäht werden alter er hat derbe kassiert“. Ich muss sagen ich finde solche Personen und Situationen immer ganz lustig. Und sagte nur zu meinem Kollegen „Darum machen wir Strafrecht und kein Zivilrecht!“. Dann haben die n bissel Musik aus ihrem Handy (in fürchterliche Qualität) gemacht. Den großen Auftritt hatten die beiden dann aber, als zwei Mädels vorbei kamen. „Wollt ihr euch nicht zu uns setzen?“, „ne sorry, wir saßen eben schon“, „ja passt doch, eben habt ihr gesessen und nun könnt ihr reiten“. Ich musste tatsächlich schmunzeln und wollte ihm schon nen Daumen geben. Die Mädels gingen weiter und die beiden sprachen dann untereinander und es wurde noch besser. „Digga du biste derbe ALT! Du hast ne Freundin! Digga wie Alt du bist!“… Fand ich gut die beiden.

Während ich dann mit meinem Kollegen weiter drüber scherzte, ob die wohl rechtzeitig ins Bett gehen, weil ja morgen Schule ist und, dass wir sicherlich die mal später bei uns in der Kanzlei haben werden, wurden es immer mehr. Irgendwann standen da 12-15 junge Südländer ca 10 Meter weg. Und dann sagte ich „Zwei von denen finde ich ja noch ganz putzig, aber bei der Gruppe da hinten mach ich mir langsam Sorgen.“ und es dauerte keine 5 Minuten, da eskalierte die Situation dahinten auch und die Gruppe ging aufeinander los. Nach dem Motto „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ wollte ich erstmal abwarten, war aber schon kurz davor die Polizei zu rufen. Nachdem sie sich auf der Straße bissel geprügelt haben und mehrfach auseinander gingen und wieder aufeinander zu, entschlossen sie sich doch abzuziehen.

Die Geschichte war aber eigentlich immer noch net die, die ich eigentlich erzählen wollte. Das sollte nur ein bisschen erklären, in was für einer Gegend wir uns dort aufgehalten haben. Ein Gebiet welches zumindest ein hohes Konfliktpotential bietet. Und da saßen wir nun noch n paar Minuten… Und dann kam ne Joggerin… Anfang 20… Recht gut gebaut… Und joggt um den unbeleuchteten Teich umgeben von tiefem Wald… Und wir schauten uns beide an, und ich sagte nur „Wenn du sowas in ner Akte sehen würde… Denkste das gleiche wie ich?“… „Selbst schuld?“…

Und da kann man nun sicherlich ne lange Debatte drüber führen. Einig ist man sich sicherlich, dass es einen Täter nicht entschuldigt, wenn das Opfer gezielt solche Situationen sucht… Aber man wundert sich doch schon. Warum joggt man als junges Mädel einen dunklen Waldweg lang in einem Gebiet, in dem selbst ich mich, als einheimischer wehrhafter junger Mann in Begleitung stellenweise schon unwohl fühle? Ich meine klar, ich kenne die Statistik nach der Sexualdelikte auf dunklen Waldwegen von unbekannten Drittern sehr sehr sehr selten sind, aber wenn sowas passiert, dann an genau solchen Orten: Es gibt dort Täter mehr als genug, die Tatgelegenheit ist mehr als gegeben und man selbst bietet sich als Opfer an.

Ich hätte meine Freundin dort nicht joggen lassen…

Der Fall Uli H.

Vorweg: Ein frohes neues Jahr!

In den letzten Monaten kam ich zu nicht zu viel, nun ist aber wieder etwas mehr Luft da… Von daher werde ich vielleicht tatsächlich wieder regelmäßiger hier bloggen (müsste dann aber n Redesign geben finde ich!).

Als erstes befassen wir uns ganz aktuell mit dem Fall Uli H. Wenn man bei einer Materie drin steckt, fällt einem ja meistens nur auf, wie viel Humbug so geschrieben wird. Dabei nicht nur in der Presse, sondern vor allem auch in den Kommentaren. „Alltagstheorien“ werden schnell als tatsächliche Rechtsargumente angebracht. Dabei ist bei Hoeneß vieles wirklich abenteuerlich. Ich probier mal die, meiner Meinung nach, wichtigsten Sachen klarzustellen.

Hoeneß muss gar nicht ins Gefängnis, sondern darf direkt in den „offenen Vollzug“!

Was häufig mit „offenen Vollzug“ gemeint ist, ist eigentlich der „Freigang“. Dieser ist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BayStVollzG geregelt. Der Gefangene darf unter bestimmten Umständen einer Arbeit außerhalb der Haftanstalt ohne Aufsicht nachgehen. Er darf morgens somit die Haftanstalt verlassen und muss direkt nach Arbeitsende wieder zurück in die JVA. Ein Fußballspiel gilt nicht als Arbeit, somit dürfte Uli, soweit er denn tatsächlich Freigang enthält, zwar für einige Stunden tagsüber die Haftanstalt verlassen, jedoch darf er keine Freizeit draußen verbringen. Auch ist davon auszugehen, dass ein Freigang sicherlich nicht in den ersten Monaten gewährt wird, vor allem Bayern handhabt das sehr streng.

Hoeneß verbringt Weihnachten eh wieder in Freiheit!

Er wurde zu 3 1/2 Jahren verurteilt. Grundsätzlich wird eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach 2/3 der Zeit gemäß § 57 Abs. 1 StGB geprüft. In einigen Ausnahmefällen kann die Aussetzung bereits nach der Hälfte der Haftzeit erfolgen. Tatsächlich könnte Hoeneß solch eine Ausnahme sein und könnte daher nach 1 Jahr und 9 Monaten auf Bewährung entlassen werden. Weihnachten 2014 wird damit eng… Selbst Weihnachten 2015 wird sehr knapp. Weihnachten 2014 wird er somit grundsätzlich noch in Haft sitzen.

Es gab einen „Deal“ zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft!

Grundsätzlich sind Absprachen im Strafprozess erlaubt, jedoch nur unter sehr strenger Dokumentierung des ganzen Vorganges. In der Praxis kommt es trotzdem vor, dass es gelegentlich Deals gibt. Ob es solch eine Absprache gab? Man weiß es nicht. Dagegen spricht, dass der Anwalt von Hoeneß direkt die Revision angekündigt hat. Auch, dass die Staatsanwaltschaft von einem „Besonders schweren Fall“ ausging, das Gericht dies aber ablehnte, spricht gegen einen Deal. Insgesamt halte ich es eher für unwahrscheinlich.

Die Staatsanwaltschaft legt keine Revision ein, damit andere Straftaten vertuscht werden!

Diese Behauptung liest man regelmäßig in den Kommentaren. Sie zeigt jedoch nur, dass der Kommentator keinerlei Ahnung von dem hat, über das er gerade spricht. Der erste Punkt ist: Revision bedeutet, dass lediglich auf Rechtsfehler geprüft wird. Der Sachverhalt, den das erkennende Gericht festgestellt hat, nimmt das Revisionsgericht als gegeben hin. In einer Revision wird nur geprüft, ob das Recht tatsächlich richtig angewandt wurde.

Beispiel: Der Täter behauptet er habe das Opfer nur mit den Fäusten verprügelt, das Gericht verurteilt ihn jedoch wegen Körperverletzung mittels einer Waffe, weil es davon ausging, dass er mit einem Ring zuschlug. In der Revision prüft das Gericht nun nicht ob der Täter tatsächlich einen Ring beim schlagen nutzte, denn dies ist eine Tatsachenfrage. Es wird lediglich die Rechtsfrage geprüft, ob ein Ring eine Waffe ist oder nicht. Kommt das Revisionsgericht zur Entscheidung, dass ein Ring eine Waffe ist, dann hat die Revision keinen Erfolg. Selbst dann nicht, wenn der Täter beweisen könnte, dass er keinen Ring nutzte (gegebenenfalls kann es dann ein Wiederaufnahmeverfahren geben, das ist aber unabhängig von der Revision).

Der zweite Punkt: Die Anklage lautet nur auf Steuerhinterziehung in 7 Fällen. Weitere Straftaten, zum Beispiel eine Untreue oder die Frage woher die Gelder kamen, sind gar nicht Gegenstand der Anklage. Daher tritt auch kein Strafklageverbrauch ein. Sollte sich herausstellen, dass weitere Straftaten vorliegen, kann die Staatsanwaltschaft jederzeit erneut Anklage erheben. Sie braucht somit nicht die Revision, damit andere Straftaten aufgedeckt oder abgeurteilt werden könnten.

Die Staatsanwaltschaft ist Weisungsgebunden, deswegen war es klar, dass keine Revision erfolgte!

Ebenfalls häufig in den Kommentaren kommt der Hinweis darauf, dass die Staatsanwaltschaft weisungsgebunden ist. Tatsächlich ist die Staatsanwaltschaft eine weisungsgebundene Behörde. So kann der Justizminister zum Beispiel jederzeit dafür sorgen, dass ein anderer Staatsanwalt die Bearbeitung übernimmt. Trotzdem ist natürlich auch die Behörde an Recht und Gesetz gebunden. Die Staatsanwaltschaft unterliegt dem sogenannten Legalitätsprinzip. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft grundsätzlich JEDER Straftat nachgehen muss. Sie darf nicht selbst entscheiden, ob sie eine Straftat verfolgt oder nicht. Erfährt die Staatsanwaltschaft von einer Straftat, muss sie Ermittlungen einleiten. Diese kann sie dann zwar möglicherweise folgenlos einstellen, jedoch müssen zumindest Vorermittlungen getätigt werden. Sollte die Staatsanwaltschaft somit tatsächlich von weiteren Straftaten Kenntnis haben, so wäre eine Weisung diese nicht weiter zu verfolgen rechtswidrig. Lediglich bei Ermessensfragen, beispielsweise ob eine Revision sinnvoll ist oder nicht, könnte hier tatsächlich eine rechtmäßige Weisung erfolgen. Diese ist dann aber unproblematisch, da ja beide Entscheidungen rechtmäßig wären.

Hier kann man sich dann auch die Frage stellen, ob eine Revision überhaupt zu einer schwereren Strafe geführt hätte? Großer Streitpunkt war, ob die Selbstanzeige wirksam war oder nicht. Staatsanwaltschaft und Gericht hielten sie für nicht wirksam. Der BGH hätte nun entweder entscheiden können, dass sie unwirksam war (Bestätigung was Staatsanwaltschaft und Gericht aber eh schon so sahen) oder sie für wirksam zu erklären… Dann hätte es gar einen Freispruch für Hoeneß gegeben. Bei der Strafzumessung kann man sich natürlich streiten ob es nicht doch ein besonders schwerer Fall war… Das Gericht wertete aber die Selbstanzeige und das Geständnis strafmildernd und lehnte damit einen besonders schweren Fall ab (dann nur Strafrahmen Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, statt Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und bis zu 10 Jahren). Wichtig ist hier: Wenn das Gericht die Selbstanzeige dazu nutzt, um den besonders schweren Fall abzulehnen, dann wird dieser Milderungsgrund quasi „verbraucht“. Das heißt er darf bei der späteren Bestimmung der Strafe nicht mehr voll berücksichtigt werden.

Hätte das Gericht aber den besonders schweren Fall nicht abgelehnt, dann wären die Strafmilderungsgründe Selbstanzeige und Geständnis noch nicht verbraucht worden und man hätte sie voll berücksichtigen müssen. Man hätte dann zwar einen Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren, aber mit stärkeren Strafmilderungsgründe, als beim Strafrahmen von Geldstrafe oder bis zu 5 Jahren. Am Ende hätte es somit auch bei einem besonders schweren Fall vermutlich keine deutlich höhere Strafe gegeben. Am Ende ist es also eher eine Frage wie man zu der Strafe kommt und nicht unbedingt eine Frage der Strafhöhe.

Somit war die Revision für die Staatsanwaltschaft eigentlich gar kein sinnvoller Weg irgendwas zu erreichen. Man hätte sicher etwas höher Urteilen können, man konnte aber auch zu 3 1/2 Jahren verurteilen. Das ist aber alles noch in dem Rahmen, in dem das Gericht frei entscheiden darf. Die Staatsanwaltschaft hat vermutlich die Strafhöhe auch als noch angemessen angesehen und sah keine juristischen Fragen mehr ungeklärt.

 

Das Urteil zur Telekom-Drosselung

Im Netz geistert momentan die Meldung rum, dass „das Landgericht Köln der Telekom die Drosselung verboten hätte“. Dies ist in der Pauschalität natürlich Quatsch mit Soße. So wie jede Privatperson oder jedes Unternehmen kann die Telekom selbst entscheiden ob, mit wem und unter welchen Bedingungen ein Vertrag mit jemanden geschlossen wird. Und natürlich kann die Telekom mit jemanden vereinbaren, dass er ab 75GB gedrosselt wird. Genauso wie jeder Privatkunde dann sagen kann „okay, dann mache ich keinen Vertrag mit euch“. Am Ende hat die Telekom dann einen Kunden weniger und der Kunde muss sich nen anderen Anbieter suchen. Oder Kurzum: Das nennt sich Privatautonomie, beziehungsweise Vertragsfreiheit.

Einige Einschränkungen gibt es jedoch bei AGB. AGB sind Vertragsbedingungen die für eine Vielzahl von Verträgen vorgesehen sind, quasi umgangssprachlich „das Kleingedruckte“. Das Gesetzgeber weiß, dass die AGB im täglichen Geschäftsverkehr nicht gelesen werden können. Es würden sich in nem Supermarkt oder beim Bäcker ewige Schlangen bilden, wenn jeder Kunde zuvor die gesamten AGB liest. Daher reicht es auch aus, wenn der Vertragspartner die AGB grundsätzliche lesen könnte und er auf sie hingewiesen wurde. Somit haben die AGB nicht den gleichen Wert wie einzelne vertragliche Klauseln, da sie primär grundsätzliche Dinge regeln sollen, aber den Kunden (der die AGB in der Regel nicht gelesen hat) nicht negativ überraschen sollen. Daher gibt es in § 305c BGB die Regelung, dass überraschende Klauseln unwirksam sind. Musterbeispiel ist, wenn in den AGB von nem Supermarkt stehen würde „jeder Kunde muss zusätzlich ein Auto im Werte von 20.000 Euro kaufen“.

Einen weiteren Schutz gibt es in §§ 307, 308, 309 BGB. §§ 308, 309 BGB zählen einige Klauseln auf die grundsätzlich verboten sind gegenüber Privatpersonen. Der § 307 BGB ist ein Auffangstatbestand und verbietet jegliche Klausel die den Vertragspartner „unangemessen Benachteiligt“.

Das Landgericht Köln hat nun lediglich festgestellt, das die Klausel eine „unangemessene Benachteiligung“ für den Kunden ist. Dies sagt aber noch nichts darüber aus, dass die Telekom nicht drosseln darf. Freuen dürfen sich natürlich erst einmal die Kunden, die so einen Vertrag nun haben, denn die Drosselungsklausel wird ersatzlos gestrichen. Damit hat die Telekom aber wohl gerechnet, denn gedrosselt werden soll ja erst nach Ablauf dieser Vertragslaufzeit und bis dahin muss ein neuer Vertrag mit neuen AGB geschlossen werden. Daher hat sich die Verbraucherzentrale rein praktisch keinen Gefallen getan die Norm so früh überprüfen zu lassen.

Für die Telekom gibt es grundsätzlich unterschiedliche Maßnahmen… So könnte, zumindest theoretisch, die Drosselung nicht in den AGB stehen, sondern individuell vereinbart werden (wohl nicht praktikabel und nicht rechtssicher). Was dagegen jedoch möglich wäre, ist die Beseitigung der „Unangemessenheit“. Die Klausel wäre nämlich vermutlich relativ schnell als „angemessen“ anzusehen, wenn größer damit geworben wird, dass die Drosselung ab X GB greift. Darüber hinaus müsste klarer gemacht werden, dass es für 15 Euro mehr im Monat einen Tarif ohne Drosselung bei der Telekom gibt. Der Kunde muss also direkt erkennen „Der Tarif ohne Drosselung kostet 55 Euro im Monat und wenn ich den Tarif mit Drosselung nehme, kriege ich für diese Benachteiligung einen Preisrabatt von 15 E uro“.

Von daher: Viel Schaum und nichts… Die Telekom wird ihre AGB anpassen und sich bei der Verbraucherzentrale bedanken, dass bereits so frühzeitig die Klausel geprüft wurde. Wenn das Urteil überhaupt in der nächsten Instanz bestätigt wird.

Die Dummheit des Verbrechens

Endlich mal wieder ein Blogeintrag! Vielleicht werde ich zukünftig aber primär über juristische Themen, und dabei hauptsächlich Strafrecht und Kriminalität, bloggen. Einfach weil es mich momentan am meisten interessiert. Wenn ihr irgendwo etwas interessantes findet oder sonst ein spannendes Thema hier erörtert haben wollt, so schreibt mir einfach ne Mail mit nem Link oder ner Frage bzw. nem Themenvorschlag an Ara@Weeplay.de. Vielleicht bräuchte ich irgendwann nen neuen Namen für den Blog… Na mal schauen.

Heutiges Thema: Die Dummheit des Verbrechens.

Es ist teilweise erschreckend, wie absolut dümmlich Verbrecher vorgehen und vor allem auffliegen. Egal ob man es in Akten liest, von Rechtsanwälten erzählt bekommt oder in der Presse liest, teilweise ist es erschreckend. Der eigentlich Anlass für diesen Eintrag war, dass ich in den letzten Tagen über mehrere absolut strange Geschichten gestolpert bin. Ganz aktuell der „Fall Gabriele„. Der mutmaßliche Täter wurde anscheinend durch eine DNA-Probe ermittelt und sitzt nun in Untersuchungshaft. Mir geht es aber um folgenden Satz im Artikel der aufhorchen lässt:

„Ihr wurde das Handy (Marke Huawei Ascend G 300) gestohlen.“

Normalerweise sollte man denken, dass sich heute auch bei Verbrechern rumgesprochen hat, dass Handys relativ leicht geortet werden können. Immer wieder liest man aber auch, dass Täter nicht nur ihr Vorgehen am Telefon besprechen (natürlich mit einem Beamten der mithört) und dann ihre Handys auch noch zum Tatort mitnehmen. Das heißt die Polizei kann auch noch live verfolgen wo sich die Handys gerade aufhalten. Auch das Ausschalten des Handys hilft übrigens meist nicht, denn solange ein Akku im Gerät ist, kann es häufig weiterhin geortet werden. Vor allem bei schwereren Delikten, wie hier der Mord, wird relativ aufwendig die technische Auswertung von Handydaten vorgenommen. Theoretisch ist nämlich sogar die Ortung ohne SIM-Karte (bzw. unbekannter SIM-Karte) möglich per IMEI. Vor allem innerhalb von Städten ist so eine Ortung auf wenige hundert Meter genau möglich.

Aber teilweise wird auch einfach Schadsoftware auf Android-Geräte geladen. Vor allem bei Betäubungsmittelstraftaten wird, beispielsweise bei der Zollkontrolle am Flughafen, Trojaner auf das Handy gespielt. Mag es ein wirklich erfahrener paranoider Nutzer tatsächlich mitbekommen, läuft der gemeine Verbrecher ab dem Zeitpunkt aber doch mit einer Wanze durch die Gegend. Hier werden dann auch gleich die GPS-Daten mitgeliefert, man erspart sich dann sogar die Ortung des Handys durch die Funkzelle.

Jedenfalls immer wieder verwunderlich wie freimütig Leute ihre Handy mit zu taten nehmen. Letztens erst von einer Diebesbande gehört, die sich am Handy (welches bereits wegen anderen Ermittlungen abgehört wurden) abgesprochen hat einen Geldtransporter zu überfallen. Natürlich ham auch hier alle beteiligten ihre angeschalteten Handys mitgenommen und waren so die gesamte Zeit über zu orten. Am Ende haben sie einen Geldtransporter überfallen in dessen Inneren ein Mobileseinsatzkommando hockte… Man konnte sich dann fragen, wer genau wen in dem Fall überfallen hat.

Teilweise muss es aber auch gar nicht über Technik funktionieren. Ein gutes Beispiel ist das Schienenkartell gewesen. Die großen Stahllieferanten haben sich bei ner Pizza und nem Glas Rotwein abgesprochen, dass jeder eine bestimmte Quote an Aufträge bekommen soll und man sich so nicht im Preis gegenseitig Konkurrenz machen muss. Das ging auch viele Jahre gut, bis dann nach mehreren Jahrzehnten jemand die Quote nicht eingehalten hat. Und was haben die anderen Stahlunternehmen gemacht? Sie haben auf offiziellem Briefpapier Mahnungen an die Konkurrenten geschickt, dass man doch bitte die Quote einhalten soll… Da freut sich natürlich die Staatsanwaltschaft, wenn so offen zugegeben wird, dass man ein Kartell gebildet hat.

Einen weiteren Fall erzählte uns ein Praktiker an der Uni: Während einer Hausdurchsuchung bei einem Unternehmen schlenderte er mit dem Staatsanwalt durch die Räume. Da fiel der Blick von Beiden auf einen Aktenordner der fein mit „sizilianische Angebote“ beschriftet war… Im Ordner befand sich dann eine gezielte Auflistung ab welchem Auftragsvolumen welches Bestechungsgeschenk gegeben wird… Der Staatsanwalt freute sich.

Aber auch im Zivilrecht gibt es teilweise lustige Sachen. Man mag sich gar nicht vorstellen wie oft sich in einem Zivilprozess die Parteien darüber streiten, wer welche Summe aus irgendwelchen Betrügereien bekommt. Und bevor die Anwälte einschreiten können, haben sie vor dem Richter dann gemeinsam nen Betrug gestanden… Kurze Zeit später gibt es dann Post von der Staatsanwaltschaft und neben seinem zivilrechtlichen Anwalt muss man sich dann auch noch einen Strafverteidiger leisten.

Das wars für heute! Also wenn ihr Themen oder ähnliches habt: Immer per Mail her damit!