Große Empörung an deutschen Stammtischen. Was ist passiert?
Am letzten Wochenende soll ein 14-jähriger Mädchen von zwei Jugendlichen (17 und 18 Jahre, beiderlei Geschlecht) zusammengeschlagen worden sein. Ein dritter Filmte die Tat. Die Empörung im Netz ist mal wieder groß. Aber warum eigentlich genau? Dass sich Jugendliche prügeln, ist nun wirklich nichts Neues. Dass das Opfer dabei gefilmt wird… Naja, ob da nun jemand beisteht und zuguckt oder das ganze Filmt, das ist nun auch net mehr der große Unterschied. Von der Brutalität zeigt das Video, wie mit Schuhen (zumindest aber relativ flexible Sohlen) auf den Kopf getreten wird. Grundsätzlich natürlich ein anderes „Level“ als ne einfache Schlägerei, aber weit entfernt von tatsächlichen Tötungsabsichten. Deswegen wird auch „nur“ wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Das Beispiel eignet sich aber gut, um die Jugendkriminalität darzustellen und den Sinn und Zweck des Jugendstrafrechts aufzuzeigen
Denn gestolpert bin ich zum Beispiel über folgende Aussage bei Steve auf dem Blog:
Ich hoffe sehr, dass in diesem Fall ein strenges Urteil verhängt wird. Wohin soll das alles noch führen?
Und da frag ich mich tatsächlich: Warum? Warum kein gerechtes Urteil? Oder ein sinnvolles Urteil? Warum wünscht man sich ein strenges Urteil? Solche Forderungen, die ja häufig gemacht werden, entlarven ein komisches Denkmuster. Wenn ich auf ein Übel mit einem sehr strengem oder hartem Übel reagiere, dann wird das erste Übel irgendwie wieder aufgehoben. So oder so ähnlich muss die Logik wohl ablaufen. Logisch ist das ganze aber natürlich nicht. Das Jugendstrafrecht verfolgt daher auch einen völlig anderen Zweck. Ausnahmsweise steht dies sogar im Gesetz selbst und zwar in § 2 I JGG:
Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.
In Kurz: Das Ziel des Jugendstrafrechts ist somit, dass der Jugendliche zukünftig keine Straftaten mehr begehen wird (in den Kommentaren heißt es einmal, das Jugendstrafrecht sei kein Strafrecht sondern ein „Erziehungsrecht“. Das ist falsch… Das Jugendstrafrecht ist kein Recht um jemanden zu erziehen… Erziehung ist lediglich das MITTEL, um jemanden von Straftaten abzuhalten. Wenn jemand schlecht erzogen ist aber keine Straftaten begeht, ist er kein Fall vom Jugendstrafrecht. Ein großer Unterschied, den auch viele Juristen nicht kennen). Und, wie hier schon mehrfach erwähnt, führen hohe Strafen, vor allem bei Jugendlichen, zu höheren Rückfallquoten. Vor allem wenn Jugendstrafe ohne Bewährung (Also Gefängnis) verhängt wird, liegt die Rückfallquote bei fast 80%. Zum Vergleich: Bei einer Einstellung des Verfahrens liegt die Quote bei 40%, bei Erziehungsmitteln und Zuchtmitteln (Sozialstunden usw) bei rund 55%. Die Zahlen darf man aber nicht direkt vergleichen, da natürlich die Jugendlichen die zur Jugendstrafe verurteilt werden in der Regel problembelasteter, als Jugendliche die mildere Mittel bekommen. Insgesamt zeigt die hohe Rückfallquote bei der Jugendstrafe aber, dass Jugendstrafe definitiv das falsche Mittel ist.
Abschreckung funktioniert, wie hier auch schon mehrfach geschrieben, höchstwahrscheinlich nicht. Bisher konnte keine Studie auch nur im Ansatz belegen, dass Abschreckung funktioniert. Teilweise kann nachgewiesen werden, dass das subjektive Entdeckungsrisiko gegebenenfalls „abschreckend“ wirken kann, jedoch nicht die Höhe der angedrohten strafen. Und zwar aus verschiedenen Gründen:
1. Wer weiß überhaupt welche Strafe droht? Der Verbrecher schlägt vorher das StGB auf und guckt nach „oh für „Auf den Kopf treten“ gibt es sechs Monate bis zu zehn Jahren, dann lass ichs lieber bleiben“ nein…
2. Die meisten Taten sind entweder Affekt-Taten oder Beziehungs-Taten… Zumeist denkt der Täter da nicht groß über die Konsequenzen nach.
3. Jugendliche haben eh eine geringere Selbstkontrolle. Es zeichnet Jugendliche geradezu aus, dass sie Sachen machen ohne groß zu überlegen.
Hier kann man nur mit Erziehung und Lebenshilfe weiterkommen… Wer sich gar nicht kontrollieren kann, der kann gar nicht sinnvoll eine Nutzen-Kosten-Rechnung aufstellen. Und vor allem „ein weiches Urteil hat nichts gebracht, nun müssen strenge Urteile her“, was ist denn das für ein Schwachsinn? Ich glaube ich habe das Beispiel schon mal gebracht: Wenn jemand mit Kopfschmerzen zum Arzt geht und der Arzt verschreibt ein Medikamente und es wirkt nicht. Man dann wieder zum Arzt geht und sagt „wirkt nicht“ und er einem die doppelte Dosis verschreibt, die aber immer noch nicht wirkt. Spätestens wenn der Arzt dann die Dosis wieder erhöht, wird man doch den Arzt wechseln? Bei der Strafe wird aber so gehandhabt… Wenn eine milde Strafe nicht gereicht hat, dann muss eine härtere her. Anstatt also mal die Maßnahme zu wechseln, wird einfach nur eine höhere Dosis verschrieben. Absurd.
Und was ebenfalls bei der Jugendstrafe nicht vergessen werden darf: Die Entwicklung von Jugendlichen folgt in bestimmten wichtigen Phasen. Vor allem zwischen dem 13. und dem 21. Lebensjahr entkoppelt sich der Jugendliche von seinem Elternhaus. Gleichaltrige werden die stärkeren Bezugspersonen und die Jugendlichen werden Selbstständig und lernen Verantwortung zu übernehmen. Wenn wir die für diese Zeit ins Gefängnis stecken, wie soll dann eine Entkopplung und Selbstständigkeit stattfinden? Wenn morgens die Zelle aufgeschlossen wird und Frühstück gebracht wird? Fremdbestimmt wird wann geduscht wird? Jemand anders die Wäsche wäscht? Man hindert den Jugendlichen quasi in seiner gesunden Entwicklung. Aus einem Jugendlichen der nach dieser Phase vielleicht nie mehr eine Straftat begehen würde, macht man dann eine Person die nie gelernt hat Verantwortung zu übernehmen. Wenn diese Person dann raus kommt und schwere Verbrechen begeht, dann müssen auch die Leute die heute „strenge Urteile“ fordern dazu stehen und dem Opfer gegenüber sagen können „Ja ich weiß, dass meinetwegen die Tat begangen wurde, aber es war richtig so, weil es war gerecht!“. Die Law-and-Order-Leute schreiben „Opferschutz“ auf ihre Brust, im Endeffekt erzeugen sie aber neue Opfer durch genau ihre Forderung von hohen Strafen.
Der zweite wichtige Punkt ist, dass selbst von jugendlichen Intensivtätern 2/3 als Erwachsene nicht mehr straffällig werden. Ganz ohne Staatliche Sanktionen… Häufig weil sie wegziehen, eine Frau kennenlernen oder Kinder bekommen (alles was im Gefängnis schlecht geht). Würde man diese zu hart bestrafen, würde man sie quasi erst in eine Verbrecherkarriere reinzwingen. Überhaupt sinnvoll wäre es also nur bei 1/3 der Intensivtätern… Aber diese 1/3 rauszufinden, ist quasi unmöglich. Wenn man aber einfach alle hart bestraft… Dann hat man zwar die 1/3 unschädlich gemacht, dafür sich aber die 2/3 als zukünftige Kriminelle herangezüchtet.
Und auch noch ein Wort zu „Wohin soll das alles noch führen?“… Vermutlich zu einer Gesellschaft die ihre Jugendkriminalität bis zu einem gewissen Maße akzeptiert und deren Ziel es ist zukünftige Straftaten zu vermeiden und nicht niedere Rachebedürfnisse zu befriedigen. Die Jugendkriminalität sinkt seit Jahren und auch eine Zunahme von besonderer Brutalität ist nicht zu verzeichnen. Zwar zeigt sich in der Kriminalstatistik, dass häufigere schwere Körperverletzungen begangen werden, wenn man aber die Dunkelfeldstudien heranzieht, zeigt sich: Das Thema Gewalt trifft heute auf eine stärkere Sensibilität. Körperverletzungen werden heute viel häufiger angezeigt, als noch vor einigen Jahrzehnten. Daher scheint es zwar laut Statistik schwerere Körperverletzungen zu geben (die Zahl an Straftaten insgesamt ist aber selbst dort rückläufig), dies ist aber mit der höheren Anzeigebereitschaft zu erklären. Und ganz zum Schluss noch etwas zu einem Kommentar von einem User zum Blogbeitrag. Er schrieb:
Ich habe mir das Video gestern auch angesehen und muss sagen das ich es besser nicht getan hätte. Ich bin nun nicht mehr in dem Alter wie die Personen in dem Video, aber gestern (bzw heute auch noch) habe ich mir nur gedacht wenn ich nichts zu verlieren hätte, würde ich eine sehr schlimme tat begehen. Man solle zwar nicht gleiches mit gleichem vergelten, aber einfach um solchen Individuen mal ein wenig “Angst” einzuflößen und denen zu zeigen das man mit Respekt und Anstand besser aufgehoben ist.
Der Kommentator kennt das Motiv der Tatverdächtigen doch gar nicht? Wenn man nun SEINE „Vergeltungstat“ filmen würde und auf nen Blog stellen würde… Was wäre daran besser? Vielleicht haben auch die Tatverdächtigen das Mädchen als „Vergeltungstat“ verprügelt, weil sie zum Beispiel nen 5-Jährigen verprügelt hat? Mit solch einem Kommentar stellt man sich nicht nur auf eine Stufe mit denen die man als „Täter“ identifiziert hat, man zeigt auch noch ganz offen, dass man kein Stück besser ist… über „Respekt und Anstand“ mag ich hier gar nicht mehr sprechen.