Es ist echt wieder verwunderlich in den letzten Tagen… Die Telekom kündigt an, dass sie ihre Kunden ab einer bestimmten Trafficmenge drosseln möchten. Das mag man nun als Ausdruck der Privatautonomie sehen oder als große Chance sich wieder zu empören, aber das soll hier gar nicht das Thema sein. Vermengt wird die ganze Diskussion mit dem Thema Netzneutralität.
Der erste Punkt ist, dass anscheinend der größte Teil, auch der Medien, gar nicht weiß was Netzneutralität bedeutet und auch gar nicht versteht, warum Netzneutralität wichtig sein könnte. Den Vogel schoss gestern der Deutschlandfunk im Interview mit dem Pressesprecher der Telekom ab (Eine Abschrift gibt es hier). Der Interviewer fragt:
Ein Vorwurf, der immer wieder im Raum steht in dieser Frage, ist die Netzneutralität, die Sie gefährden mit diesem Schritt. Netzneutralität, um das mal kurz festzulegen, besagt, dass alle Daten im Internet gleich behandelt werden. Niemand bekommt eine Extrabehandlung, nur weil er mehr bezahlt. Sie wollen damit jetzt Schluss machen.
Diese Aussage ist insoweit richtig, wenn man das „er“ in „nur weil er mehr bezahlt“ so versteht, dass „er“ der Anbieter der Leistung ist. Ein Verstoß wäre es zum Beispiel, wenn Microsoft Geld an die Telekom zahlen müsste, damit Leute auf „Bing“ gehen können. Kein Verstoß ist es dagegen, dass man für World of Warcraft monatlich 13 Euro zahlen muss und dies über die Telekomrechnung abgerechnet wird.
Der Telekomsprecher beantwortet diese komisch gestellte Frage ähnlich und zwar, dass kostenpflichtige Inhalte im Netz nichts mit der Netzneutralität zu tun hat, sondern etwas mit der Gratis-Kultur im Internet:
Ich glaube, in dieser Debatte wird Netzneutralität teilweise mit einer quasi Gratis-Internetkultur verwechselt. Die Telekom steht für das freie und offene Internet, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Reguläre Internetdienste werden diskriminierungsfrei behandelt, das gilt für unsere Dienste genauso wie für alle anderen.
Bevor wir uns mit dem Wort „reguläre Internetdienst“ auseinander setzen und schauen, was er damit wohl meinte, wollen wir weiter den Verlauf des Interviews anschauen. Der Interviewer meinte nämlich mit „er“ in der ersten Frage ganz offensichtlich tatsächlich den Kunden:
Armbrüster: Aber Sie wollen trotzdem die Geschwindigkeit ab einer bestimmten Übertragungsmenge drosseln?
Blank: Ja. Der Kunde hat dann die Möglichkeit, neues Volumen nachzubuchen, und dann kann er mit hoher Geschwindigkeit weiterhin sämtliche Dienste nutzen, die der Telekom genauso wie alle anderen. Da gibt es keinen Unterschied.
Armbrüster: Aber das ist doch genau das, was die Netzneutralität besagt, dass das nicht passieren darf.
Blank: Die Netzneutralität besagt, dass das Internet frei und offen sein soll und die Kunden sämtliche Dienste nutzen können sollen. Das tun sie. Die Netzneutralität besagt nicht, dass das kostenlos zu erfolgen hat.
Armbrüster: Aber Ihre Kunden müssen künftig ab einer bestimmten Datenmenge mehr bezahlen?
Blank: Ja das müssen sie in Zukunft tun, wenn sie ein größeres Volumen brauchen. Das wird aber die allerwenigsten Kunden betreffen. Wir gehen davon aus, dass es bisher nur circa drei Prozent der Kunden betrifft.
Ganz offensichtlich, hat der Interviewer tatsächlich nicht verstanden, was die Netzneutralität ist. In der Audio-Version hört man noch viel besser, wie der Telekomsprecher etwas verdutzt ist, dass die Gegenseite gar nicht weiß was die Netzneutralität ist. Denn eigentlich müsste er sagen „Der Vorwurf, dass wir die Netzneutralität missachten würden, hat nicht direkt damit zu tun dass wir drosseln, sondern damit, dass bestimmter Traffic nicht als Internettraffic zählt“…
Um noch einmal kurz das tatsächliche „Problem“ zusammenzufassen: Die Telekom überträgt über die Telefonleitung nicht nur „Internet“, sondern auch an vielen Standorten „Telefon“ (Das heißt es läuft nicht mehr analog oder über ISDN, sondern es wird quasi per VOIP telefoniert, der Kunde merkt davon aber meist nichts) und „Fernsehn“. Die Telekom drosselt bei den großen Leitungen ab 200gb Traffic im Monat. Zu den 200gb zählt aber nur „Internet“, wenn man dagegen 10 Stunden mit seinem Telefon telefoniert hat und die Daten über die Telekomleitung flossen, wird der entstanden Traffic nicht abgezogen. Das gleiche zählt, wenn man Fernsehn von der Telekom bezieht.
Auf dem ersten Blick verstößt dies tatsächlich gegen die Netzneutralität, man muss sich aber im klaren darüber sein, was hier passiert. Vorher wurden Telefon und Fernsehn analog übertragen. Auch das Internet wurde in seinen Anfangszeiten analog als Telefonsignal übertragen. Dann wurde später zumindest Telefon und Internet digital übertragen und mittlerweile wird auch Kabelfernsehn digital übertragen. Aktuell läuft es also so, dass bei fast allen Anbietern (egal ob Telefonanbieter oder Kabelanbieter der auch Internet anbietet) alle drei Produkte digital übertragen werden. Ob das Fernsehn und das Telefon nun „per Internet“ übertragen wird oder das Internet „per Telefon“ übertragen wird, kann man sich köstlich drüber streiten. Jedenfalls haben sich die Provider dazu entschlossen, dass es softwareseitig (auf Seiten des Kunden) eine Priorisierung gibt, das heißt Telefon und Fernsehn werden bevorzugt. Reicht die Bandbreite also mal nicht aus, wird das Internet langsamer, Telefon und Fernsehn gehen aber noch.
Wenn dies alles nun tatsächlich gegen die Netzneutralität verstoßen würde, dann hätten wir noch nie Netzneutralität gehabt. Es würde viel mehr die Anbieter dazu zwingen, dass sie drei Kabel legen müssten: Telefon, Fernsehn und Internet… Und das obwohl alles mittlerweile der gleichen Technik folgt. Es ist natürlich mit der Netzneutralität problemlos zu vereinbaren, dass alle Leute mit Internetanschluss die gleichen Bedingungen haben. Wer zusätzlich noch einen Telefon- oder Fernsehnanschluss beim gleichen Anbieter hat (und extra bezahlt) darf dafür natürlich nicht benachteiligt werden. Viel mehr ist es selbstverständlich, dass wenn ich 10 Euro extra für die Telefonflat im Monat zahle, mir das dann nicht von meinem Internettraffic abgezogen wird. Oder um einfach ein paar Jahre zurückzugehen. Als das Internet noch analog übertragen wurde, sind Telefongebühren angefallen. Das heißt, dass 10 Minuten Internet genau soviel gekostet haben, wie ein 10 Minuten Telefonat (es nutzte ja die gleiche Leitung und Technik). Mit der Einführung der Internetflatrates (Telefonflatrates kamen deutlich später) hätte man damit quasi gegen die Netzneutralität verstoßen, denn während Telefonate immer noch teuer im Minutentakt abgerechnet wurden, zählte die Internetzeit nicht drauf… Kein Mensch hätte sich drüber beschwert.
Und ja tatsächlich hat Skype dann zum Beispiel ein Nachteil, denn sein Traffic wird vom Internettraffic abgezogen. Das ist aber ja die Entscheidung von Skype gewesen, dass ganze per Internet zu realisieren (inklusive den günstigeren Kosten und allen Vorteilen die Skype so hat). Skype wird auch gegenüber einem „normalen“ Telefonanschluss benachteiligt, denn wer heute kein Breitbandinternet hat, kann eher schlecht als recht Skypen, aber problemlos telefonieren und analoges Fernsehn empfangen. Kurios wurde es dann, als große Videoportale sich darüber beschwerten, dass die Telekom die Limits einführen wird. Um das ganze mal zu übertragen: Das wäre so als würde Mercedes die Tankstellen dafür kritisieren, dass ihr Benzin so teuer ist. Oder als würden Heißpilzhersteller die hohen Strompreise angreifen. Das ganze nennt man mehr oder weniger Anpassung am Markt…
Das wirklich kuriose ist aber, dass die Telekom an einem ganz anderen Ende die Netzneutralität tatsächlich angreift. Denn die Telekom hat einen Deal mit Spotify, der das Streamen von Musik erlaubt, welches nicht auf den (mobilen) Traffic angerechnet wird. Hier besteht dann tatsächlich ein Deal zwischen einem Medienanbieter und einem Provider. Und hier wird auch ein klassischer Internetdienst angeboten (zumindest, wenn man Spotify nicht zum Radio-Rundfunk zählt). Hier könnte man wunderbar streiten, ob die Telekom die Netzneutralität verletzt… Die Drosselung von Anschlüssen mit Herausnahme von Telefon- und Fernsehntraffic ist dagegen keine Verletzung der Netzneutralität (wird übrigens in der gleichen Form auch bei ALLEN anderen Anbietern so gemacht, die Telefon, Fernsehn und Internet digital anbieten).
Und damit lösen wir dann auch auf, was der Pressesprecher mit „regulären“ Internetdiensten meint. Damit meint er alle Produkte, die direkt über das Internet vertrieben werden und nicht per VLAN nur zufällig die gleiche Technik verwenden, wie zum Beispiel ein Telefonanschluss nicht nur Internet überträgt, sondern auch Telefongespräche oder ein Kabelanschluss nicht nur Internet überträgt, sondern auch Fernsehn.